Die Klostermühle - Max Gribi - die Kulturmühle Lyss
Als in den Jahren 1947/48 die Korrektion der Staatstrasse Bern - Biel auf der Strecke "Bären"Hirschenplatz im Dorfgebiet von Lyss zur Diskussion stand, zeigte sich bald einmal, dass die alte Mühle von der kantonalen Baudirektion als bauliches Hindernis beurteilt wurde. Regierungsrat Brawand teilte damals dem Gemeinderat auf eine entsprechende, durch das Kunstkollegium veranlasste Anfrage hin mit, dass "für eine annehmbare Linienführung der Strasse die Klostermühle weichen" müsse. Falls man hingegen in Lyss die Absicht habe, die Mühle stehen zu lassen, müsse "der Staat mit der Strassenkorrektion vor der Mühle Halt machen". Angesichts des Umstandes, dass sowohl Baudirektor als auch Kreisoberingenieur Greppin im Blick auf eine möglichst gradlinige Streckenführung der Staatsstrasse damals eine "Niederlegung" der alten Klostermühle vorsahen, beschloss der Vorstand des Kunstkollegiums auf Initiative von Notar Oskar Moeri, verschiedene Gutachten erstellen zu lassen, um damit einerseits den Abbruch des historischen Gebäudes zu verhindern und andererseits die Renovation der Mühle fördern zu können. Ingenieur Paul Wiesmann (Wabern) sprach sich in einem entsprechenden Bericht für eine leicht gebogene Strassenführung aus, die das Gebäude der Mühle schone. Bei einem derartigen Trassee, so führte Wiesmann in seinem Gutachten aus, könne "von einer irgendwelche Mühe verursachenden Bedienung des Lenkrades des Motorwagens nicht die Rede sein". Fürsprecher Paul Keller, damaliger Obmann des Berner Heimatschutzes, beantragte dem kantonalen Baudirektor, "die Klostermühle unter allen Umständen zu erhalten" Ihr Wert liege " in ihrer charaktervollen, bodenständig wuchtigen Gesamterscheinung" und ihre Erhaltung sei "umso notwendiger, als Lyss arm an Denkmälern früherer Zeiten" sei. Die alte Mühle sei "aus dem Dorfbild nicht wegzudenken". Da die Absicht bestehe, die Klostermühle zu renovieren, werde sie bald "eine Zierde des Dorfes bilden". Im gleichen Sinne hatte sich zuvor bereits der durch Vermittlung von Oberrichter Dr.J.O.Kehrli als Fachmann zugezogene Kunsthistoriker Prof. Dr. Paul Hofer (Bern) geäussert, der dem Kunstkollegium zuhanden des Gemeeinderates und der kantonalen Baudirektion am 14.März 1948 einen umfassenden Bericht über die Gebäudegruppe der Klostermühle (Mühle, Riegbau, Mühlestöckli) und die benachbarten Bauernhäuser (Kuchen-Haus, Kohler-Haus) abgeliefert hatte.
Die Klostermühle am heutigen Mühleplatz ist der älteste urkundlich nachgewiesene, nichtkirchliche Bau des Dorfes Lyss. Sie wird wenige Jahre nach der erstmaligen Erwähnung unserer Ortschaft im Jahre 1009, als das Kloster St.Maurice die Kirche von Lyss (die vershwundene Kirche von Ober-Lyss, die auf dem "Kirchhübeli" stand) vorübergehend gegen Haus,Hofstatt und Weinberg in Ins abtauschte, erstmals erwähnt. Am 18.Mai 1246, genau 45 Jahre vor der Gründung der Eidgenossenschaft auf dem "Rütli", ist in Urkunden zu vernehmen, dass der um 1048 entstandene Johanniterorden von Münchenbuchsee dem Leutpriester von Lyss (d.h. dem damaligen Pfarrer an der Kirche von Nieder-Lyss, der heutigen alten Kirche), sowie einer Adelheid und deren Kindern "Fünf Schupposen (etwa 12 -15 Jucharten) nebst einer Mühle zu lyss" gegen einen symbolischen jährlichen Zins von 5 Schillinggen auf Lebenszeit zur Nutzung übergab. Wann die Mühle erbaut und auf welchen Wegen sie in den Besitz der Johanniterkomturei Münchenbuchsee gekommen war, verliert sich im Dunkel der Geschichte. Aufgrund des bisher bekannten Urkundenmaterials darf aber angenommen werden, dass sie um die Wende des 12./13.Jahrhunderts bereits bestand. Sicher ist hingegen, dass die Mühle zum Kirchensatz (Kirchengut) von Unter-Lyss gehörte, also nicht weltlicher Besitz war. Dies bestätigt auch eine Urkunde aus dem Jahre 1272, aus dem hervorgeht, dass Wilhelm I. (1270 - 1323), der mit Bern und dem Kloster Frienisberg verfeindete Stammvater des Grafenhauses von Aarberg, erklärte, er besitze aufgrund des von seinen Burgern abgegebenen und beschworenen Zeugnisses "kein Recht an der Mühle von Lyss".
Im Jahre 1375 kamen die Mühle, die benachbarten Bauernhäuser, das Gotteshaus ("alte Kirche") und der Kirchplatz, d.h. der damalige Dorfkern von Lyss, schenkungsweise von Niklaus von Esche in den Besitz des 1131 gegründeten Cistercienser-Klosters Frienisberg, das zur damaligen Zeit bereits in Schüpfen, Seedorf, Scheunenberg, Janzenhaus, Büetigen und in Lyss selbst (1264 und 1284 erhaltenen) Grundbesitz aufwies.Fast anderthaalb Jahrhunderte lang diente die "untere Mühle" anschliessend als Frienisberger "Klostermühle". Da das Kloster Frienisberg laut Urkunde von 1286 ein "vogtfreies" Kloster war und damit in Gerichtssachen dem für das rechtsufrige Aaregebiet zuständigen Landgrafen von Kleinburgund unterstellt war, hatten die LYsser Gotteshausleute (KLosterfreie und Klosterhintersässen) fortan bei schweren Vergehen gegen Leib und Leben vor dem Grafen von Buchegg als obersten Richter zu erscheinen, der für das "hohe Gericht" oder "Blutgericht" zuständig war Das "niedere Gericht" hingegen hatten die Frienisberger Mönche selbst inne; sie befanden über kleinere Vergehen, die mit Geldstrafen gesühnt werden konnten.
Mit der Einführung der Reformation auf bernischem Boden (1528) fiel die Klostermühle, wie der Klosterbesitz- und Kirchenbesitz im allgemeinen, an den Staat Bern und wurde damit bald einmal zum weltlichen Handelsobjekt. In den "Ämterbüchern" von Aarberg treten uns folgende Mühlenbesitzer entgegen: Bendicht Löffel (1532), Jakob Löffel (1546), hans Löffel (1605), Gebrüder Aebi (1752) und Peter Lauper (1803). Aus den Grundbuchakten der Kirchgemeinde Lyss wiederum gehen als Eigentümer der Mühle hervor; Bendicht Hauser (1816), die Erben von Bendicht Hauser (1856) und Jakob Hauser/Johann Leiser-Küng(1856). 1859 kam die Mühle-Dynastie, in deren Besitz sich die "untere Mühle" noch heute befindet (1898:Albrecht Christen, 1955; Marie Christen-Leiser, 1959 Peter Christen-Schweizer); wirtschaftliche Gründe führten im Jahre 1977 allerdings dazu, dass das Müllereigewerbe aufgegeben werden musse. Bis auf den heutigen Tag aber ist der wuchtige Bau der Klostermühle historischer Hauptzeuge für die jahrhundertelangen Beziehungen zwischen dem Dorf Lyss und dem Kloster Frienisberg geblieben.
Das "mächtige Walmdach samt dem weit vorkragenden Vorscherm, der einfache, kräftige Geviertblock des Baukörpers, die ausgezeichnetene Proportionen (Prof. Dr. Paul Hofer 1948), die für eine ländliche Gewerbeanlage des 16./17. Jahrhunderts charakterischtisch sind, prägen noch heute das Dorfbild. "Der Mühlekomplex gibt dem oberen Dorfteil recht eigentlich den Halt. Der Blick von der Lyssbachbrücke an der Strassengabel beim Gasthof Bären zeigt mit aller Detlichkeit die entscheidende Bedeutung der Dreiergruppe Stöckli-Mühle-Riegbau für die Südansicht des Oberdorfes. Mit Lyssbach, Baumgruppen, Brücke und flankierenden Bauernhöfen bildet der Komplex eines der letzten unverdorbenen Dorfbilder dieser durch Kanalisation (Lyssbachkorrektion um 1920) und gewerbliche Entwicklung so schwer entstellten Ortschaft. Wäre der Umschwung bereits unheilbar verdorben, so wäre die Mühle (1980 wegen Baufälligkeit abgebrochen), die alte Lyssbachbrücke, das Hochstudhaus (Kohler Haus) südlich der neuen Kirche verschaffen der bedrohten Baugruppe landschaftlich und baulich Halt. Das Herausbrechen des Kernbaus, der Klostermühle, aus diesem durchgegliederten Ganzen wäre ein nicht mehr wiedergutzumachender Verlust, der selbst für ein architektonisch reiches, unverfälschtes Dorfbild ins Gewicht fiele, hier aber vollends nicht zu verantworten wäre. Zu erstreben ist vielmehr die Instandsetzung und Auffrischung" (Prof. Hofer)
Das fast vollständige Fehlen sicher bestimmbarer Bauteile verunmöglichte schon 1948 eine zuverlässige zeitliche Eingrenzung der Klostermühle. Bis ins 14. Jahrhundert zurück dürfte das Mauerwerk der Ostfront (Hauptstrasse) zurückreichen; der Gesamtcharakter des Gebäudes anderseits weist auf das 16. oder auf die 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts hin. Prof. Hofer beurteilte die Mühle damals als "charaktervollen, zweigeschossigen Rechteckbau unter hochragendem ziegelgedecktem Krüppelwalmdach, der seine fensterarme Schmalfront der Hauptstrasse zuwendet, während die Rückfront mit dem ehemaligen Radhaus zum Lyssbach blickt". Der Eingang zur Mühle befindet sich an der Südseite des Gebäudes (Richtung Bären); über eine holzpfostengestützte Laube erreichte man früher die Müllerwohnung im ersten Stock des Gebäudes-Ostteils. Das Mühlrad wurde 1920 im Zuge der Lyssbach-Kanalisation durch Turbinenbetrieb ersetzt und die innere Holzkonstruktion der Mühle ( mit Ausnahme des Dachstuhls) zum grössten Teil erneuert. Wertvolle Bauteile am Mühlegebäude stellen zwei ebenerdige Kleinfenster an der Ostfront (eines davon mit altem Zackengitter), zwei korbbogige Haustein-Eingänge im Erdgeschoss und ein spätgotisch profiliertes Holztürgericht im ertsen Stock dar. Mittelalterlich, aber zeitlich nicht sicher datierbar, ist die starke Ostmauer, deren bauliche Struktur (Kiesbollenmauer) auf der Innenseite ebenerdig sichtbar ist. Konstruktiv interessant ist der "ungewöhnlich mächtige Dachstuhl, ein Hängewerk mit starken, von eichenen Rundbalken abgefangenen Pfosten".
Eine durch den Gemeinderat veranlasste Beurteilung der heutigen Klostermühle durch Fachleute der "Denkmalpflege des Kantons Bern" hat im Februar 1981 unter anderem ergeben, dass die Gemeinde Lyss bisher, d.h. mit den positiven Meinungsäusserungen der vierziger Jahre und mit der Revision der Ortsplanung in den siebziger Jahren, als die Baugruppe Mühle und der Lyssbach als schutzwürdig in den neuen Zonenplan eingeordnet wurden, eine "folgerichtig vorangetriebene Erhaltungspolitik" betrieb. Das Mühlegebäude selbst, so wurde ferner bemerkt, werde "durch einen grossen, sehr schönen Dachraum überlagert", die bauhistorisch Substanz der Klostermühle sei nicht wesentlich beeinflusst oder verändert worden, so dass "Mängel ohne übermässige Kosten" behoben werden könnten. Behelfsmässig ausgeführte Sanierungsarbeiten im relativ gut erhaltenen Dachstuhl, der "von einem Biberschwanzziegeldach in Doppeldeckung" überdacht ist, "könnten problemlos behoben werden" und gesamthaft dürfe "der bauliche Zustand der Klostermühle den Verhältnissen entsprechend als gut bezeichnet werden", ebenso der Zustand des im 19.Jahrhundert als Fachwerkkonstruktion an das Mühlegebäude angebauten Riegbaus, dessen Fassade fachgerecht restautriert werden müsste.
Unter neuen Aspekten stellt sich heute erneut die Frage, was mit der leerstehenden, in der Dachhaut bereits vom Zerfall bedrohten Mühle geschehen soll. Wie die Zukunft der Klostermühle aussehen wird, ist gegewärtig noch nicht entschieden. In den nächsten Jahren werden sich indessen wirksame Schritte zur Erhaltung des altehrwürdigen Bauwerks und der benachbarten Gebäude (Riegbau, Mühlestöckli) unabwendbar aufdrängen, wenn unser Dorf nicht Gefahr laufen soll, sein ältestes weltliches Gebäude doch noch zu verlieren. Nachdem in den vierziger Jahren weitsichtige Persönlichkeiten uf privater Ebene, in Vereinen und im Gemeinderat die Zerstörung des historischen Gebäudes zu verhindern wussten, wird es an allen positiven Kräften unserer Gegeration liegen, die Weichen für die Erhaltung der stolzen Klostermühle zu stellen - für uns und die zukünftigen Bürger unseres Dorfes.
Max Gribi