Kunstwerke in Lyss
Der öffentlichen Hand - Bund, Kantonen und Gemeinden - werden in unserer Zeit stets wieder neue Aufgaben zugewiesen. Die Ansprüche des Bürgers gegenüber dem Gemeinwesen wachsen unaufhaltsam; ein Ende der Forderungen der «Anspruchsgesellschaft» ist trotz warnender Stimmen nicht abzusehen.
Die ihm übertragenen Aufgaben und von ihm erwarteten Dienstleistungen kann das Gemeinwesen nur erfüllen, wenn ihm die nötigen finanziellen Mittel, das erforderliche Personal und die dadurch bedingten Räume zur Verfügung stehen. Zu den vordringlichen Aufgaben, die dem Gemeinwesen seit eh und je anfallen, gehört deshalb die Beschaffung von Räumen für die verschiedensten öffentlichen Zwecke. Kirchliche Bauten, Schulhäuser, Kindergärten, Verwaltungsgebäude, Altersheime, Spitäler oder Sportanlagen - sie alle befriedigen Ansprüche des Bürgers und werden mehr oder weniger als Selbstverständlichkeit betrachtet. Zu Meinungsverschiedenheiten kommt es hingegen nicht selten, wenn es um die Schaffung von Räumen für kulturelle Zwecke geht. Hier prallen die Meinungen erfahrungsgemäss oft hart aufeinander, hier pflegt bald einmal die Frage nach Notwendigkeit und Nutzen derartiger Anlagen aufzutauchen. Vollends scheiden sich die Geister erfahrungsgemäss, wenn die Frage zur Diskussion gestellt wird, ob das Gemeinwesen Kunstwerke ankaufen soll, in welchem Ausmass dies allenfalls zu geschehen und wer die Werke auszuwählen hat.
Trotz dieser Sachlage erwerben Bund, Kantone und Gemeinden bei förderungswürdigen oder bereits bekannten Künstlern mit mehr oder weniger grosser Regelmässigkeit Kunstwerke, beispielsweise Gemälde, Plastiken oder Wandteppiche. Gelegentlich gibt die öffentliche Hand für die Ausschmückung ihrer Gebäude auch gezielt Kunstwerke in Auftrag, erinnert sei etwa an Wandmalereien, Glasfenster oder Glockenschmuck. Unter diesen Vorzeichen kann ein Gemeinwesen im Laufe der Jahre und Jahrzehnte zu beachtenswerten Kunstsammlungen kommen; in besonderen Glücksfällen bereichern private Schenkungen von Einzelwerken oder gar die Übergabe ganzer Kunstsammlungen den öffentlichen Kunstbesitz.
Verfügt eine Gemeinde über keine speziellen Lokalitäten zur Präsentation ihrer Kunstwerke in einem geschlossenen Rahmen, beispielsweise in einem Museum, dann dürfte der Anreiz, mit einer gewissen Regelmässigkeit und Systematik Kunstwerke anzuschaffen, nur wenig ausgeprägt vorhanden sein. Eher zufällig und nach wahrscheinlich kaum zu definierenden Kriterien dürfte dann - wenn überhaupt- gelegentlich das eine oder andere Kunstwerk angeschafft werden - ohne System und alles in allem wohl eher konzeptlos. Mag dieses Vorgehen der Schaffung einer repräsentativen Kunstsammlung einerseits zuwiderlaufen, so kommt dergestalt im Laufe der Zeit doch eine Sammlung von Kunstwerken zusammen, die - vorausgesetzt, dass die erworbenen Werke einer weiteren Öffentlichkeit überhaupt je zu Gesicht kommen, beispielsweise in Verwaltungsgebäuden, Schulhäusern oder Saalbauten - dem Bürger grundsätzlich die Begegnung mit Kunstwerken ermöglichen.
Vergleichsweise einfach liegen die Dinge, wenn Kunstwerke bei der Erstellung eines Neubaus zum vornherein berücksichtigt werden. Ein erstes derartiges Beispiel stellt in Lyss die vor 50 Jahren eingeweihte evangelisch-reformierte Kirche dar, indem bei der Verwirklichung dieses Bauwerks verschiedene Künstler beigezogen wurden. Die Künstler Dr. R. Schmitz und E. Perincioli wurden beauftragt, die Reliefs der fünf neuen Glocken zu gestalten. Schmitz schuf die Reliefs der beiden grössten Glocken, Kreuzigung und Auferstehung darstellend (Karfreitags- und Osterglocke), Perincioli andererseits gestaltete die Weihnachts-, Pfingst- und die Bettagsglocke (Geburt Christi, Ausgiessung des Heiligen Geistes, Dank des Volkes). lm Rahmen eines Wettbewerbs bestimmte eine Spezialkommission, der auch der Architekt der Kirche, Hans Klauser (Bern) angehörte, die Künstler, denen die Gestaltung der Kirchenfenster übertragen wurde. Der Maler Paul Zehnder arbeitete die Entwürfe für das Chorfenster aus, Fred Stauffer dagegen zeichnete für das Fenster der Empore verantwortlich. Die Steinskulptur zwischen den beiden Hauptportalen schliesslich, den «Guten Hirten» darstellend, ist ein Werk des Berner Künstlers Max Fueter.
Nicht minder hoch einzuschätzende Anstrengungen unternahm Ende der fünfziger Jahre die römisch-katholische Kirchgemeinde beim Bau der 1959 eingeweihten Lysser Marienkirche. Peter Travaglini (Büren an der Aare) wurde beauftragt, Vorschläge zur künstlerischen Ausgestaltung dieses Gotteshauses zu erarbeiten. Mit der grossflächigen Glas-Beton-Wand der Eingangsfront und den vierzehn dreieckförmigen Glasfenstern der Längsfassaden wurde eine eindrückliche künstlerische Leistung erbracht. Während die sieben rechtsseitigen Fenster die gnadenspendenden Sakramente zum Inhalt haben, wird auf der linken Seite das Sechstagewerk und der Ruhetag Gottes dargestellt. Als Kunstwerke ausgebildet wurden vom gleichen Künstler Hochaltar, Taufstein und Tabernakel. An der Chorwand schliesslich trifft man auf Cuno Amiets einziges, 1927 geschaffenes Kreuzigungsbild.
lm Zusammenhang mit der Eröffnung der Schulanlage Stegmatt setzte die damalige Schulgemeinde zu Beginn der sechziger Jahre eine Kunstkommission ein. Sie hatte den Auftrag, den künstlerischen Schmuck für die im Jahre 1959 baulich abgeschlossene Anlage zu beschaffen. Unter der Leitung von Dr. Rudolf Moser entwickelte diese Kommission während rund elf Jahren eine vielfältige Tätigkeit, indem sie gezielt nach geeigneten Kunstwerken Ausschau hielt, Ausstellungen besuchte, Kontakte mit Künstlern aufnahm und verschiedene Atelierbesuche durchführte. Aus diesen Begegnungen mit Kunstwerken und Künstlern ergab sich vorerst eine beachtliche Sammlung von graphischen Blättern, wobei Arbeiten von Alois Carigiet, Hanns Studer, Fred Stauffer, Franz Opitz und Hugo Wetli im Vordergrund standen.
Ergänzt wurden diese Arbeiten durch Ölgemälde und Aquarelle des Malers Fernand Giauque, mit dem die Kommission besonders enge Kontakte pflegte. Als gewichtigstes Kunstwerk kaufte die Kommission für den Schmuck der Eingangshalle der Sekundarschule einen Wandteppich der Zürcherin Lissy Funk an. Auftragsgemäss verwendete die Künstlerin in diesem Teppich Motive aus Lyss: Den früher vielfach verzweigten Flusslauf der alten Aare und den Lyssbach mit seinen Pappelreihen. Franz Fischer (Zürich) schliesslich erhielt den Auftrag, eine dem Gedanken der Geborgenheit verpflichtete Bronzeplastik zu schaffen, die beim Eingang zum Sekundarschulhaus platziert wurde. Beratend zugezogen wurde die Kommission in den siebziger Jahren bei der Wahl des künstlerischen Schmuckes im neuen Primarschulhaus Herrengasse, wo in der Eingangshalle ein Keramikplattenrelief von Chaballaz angebracht wurde, und bei der Ausschmückung des Lehrschwimmbeckens im neuen Kirchenfeldschulhaus, wo Röbi Wyss mit dem Fresko «Sindbad der Seefahrer» zum Zuge kam.
Mit der Beschaffung von Kunstwerken hatte sich auch die 1968 vom Gemeinderat eingesetzte Kommission Erziehung/Bildung/Kultur zu befassen, indem ihr- auch in diesem Falle erst nach Bauabschluss - der Auftrag erteilt wurde, für das neu eröffnete Berufsschulhaus einige Kunstwerke anzukaufen. Mit dem Erwerb des Wandteppichs «Der kleine Garten››, der heute die Eingangshalle der Alterssiedlung schmückt, und mit dem Ankauf einer abstrakten Bronzeplastik von Andre Ramseyer kam die Kommission ihrem Auftrag nach. Anregend und beratend wirkte die Kommission im gleichen Zeitraum beim Erwerb von Ölgemälden, die heute verschiedene Räume der Gemeindeverwaltung schmücken. Ergänzt wird diese Sammlung seit Jahren durch den gelegentlichen Ankauf von Kunstwerken, wobei graphische Arbeiten aus preislichen Gründen im Vordergrund stehen. Nicht unerwähnt bleibe schliesslich eine in den siebziger Jahren vom Kunstkollegium angeregte und durchgeführte Aktion, die sich zum Ziel setzte, für die kurz zuvor restaurierte alte Kirche Glasgemälde zu beschaffen. Persönliche Beziehungen zum Basler Künstler Hanns Studer führten zum Auftrag, eine Serie von Lithographien zu schaffen, deren Reinerlös den Erwerb der Glasgemälde sichern sollte. Gleichzeitig wurde Studer beauftragt, aufgrund von Lysser Motiven Entwürfe für vier Glasfenster auszuarbeiten. Die Kosten der Fenster übernahmen später, überzeugt von der vom Kunstkollegium ergriffenen Initiative, verschiedene Lysser Bürger in grosszügiger Art und Weise.
Max Gribi