Aarbergerstrasse und Aareschiffahrt
Seit jeher benützte der Mensch die dem Jurafuss vorgelagerte Bodensenke vom Waadtland bis in den Aargau als Verkehrsweg, weil sie ihm den kürzesten und flachsten Weg vom Genfer - zum Bodensee bot.
Schon die ersten Strassen der Kelten hielten sich an diese von der Aare grossenteils durchflossene Talung, und auch die Längsachse der römischen Handels- und Militärstrasse, die Lausanne mit Petinesca, Solothurn und Vindonissa verband, folgte ihr. Noch heute trägt ein Feldweg westlich unseres Dorfes, zwischen Kappelen und dem Werdthof, den Namen «Römerstrasse».
Auch die mittelalterliche Handelsstrasse, die «Aarbergerstrasse», die gegen Ende des 13.Jahrhunderts zu eigentlicher Bedeutung kam, verlief in dieser von der Natur vorgezeichneten Verkehrsrinne. Vom ehemals römischen Strassenzug in der Ebene abweichend, hielt sie sich in unserer Gegend an die vor Hochwasser geschützten Hänge der südlichen Hügel am rechten Aareufer. Als Hauptverkehrsader, die die süddeutschen Handelsstädte Nürnberg, Augsburg, Ulm und Ravensburg, «die koufflüt von schwaben, peyern und anderswohär», mit den Messestädten Genf und Lyon und mit dem Grossen Sankt Bernhard verband, brachte sie auch unserer Gegend lebhaften Strassenverkehr und buntes Leben. Oft wurden im Tage mehr als hundert Fuhrungen über diese Strasse geführt.
Die Stadt Bern förderte einerseits die grosse <<Aarbergstrasse›› durch Zusicherung der öffentlichen Sicherheit, durch Strassenbaukredite und Zollerleichterungen, doch trachtete sie immer wieder danach, die grosse Verkehrsader durch die eigenen Mauern zu lenken. So versuchte sie im Jahre 1490, in zwei Briefen die Kaufleute in Nürnberg von den Vorteilen der Strasse über Bern zu überzeugen, und im 16. Jahrhundert verlegte Bern die Kontrollstelle über den Durchgangsverkehr von der Aarbergstrasse willkürlich nach Bern, «damit die furlütt darzu gehalten werden, die rechte strass zu faren››. Im März 1767, anlässlich der Anstrengungen um den Ausbau der «neuwen Aargäustrasse», veranlasste die bernische Obrigkeit einen Vergleich zwischen den Strassenzügen Aarau-Murgenthal-Bern-Murten und Aarau-Solothurn_Lyss_Aarberg_Murten. Das Ergebnis der Untersuchung bestätigte den Vorteil der Seeländerstrasse hinsichtlich Länge, Zeitaufwand, Steigungen, Unterkunftskosten und Zollabgaben, unterstrich aber auch deren Beliebtheit, indem man bekennen musste, «bei gehaltenem Augenschein auf der hiesigen Aargäustrasse nur zwei, auf deren durch das Solothurngebiet aber 16 bis 20 Güterwagen angetroffen zu haben».
Noch 1844 wurde die Strasse Solothurn-Lyss-Murten als Strasse 1.Klasse bezeichnet. Während im benachbarten Aarberg auf dem geräumigen Stadtplatz die blachenbedeckten, von Pferden gezogenen Wagen und Karren haltmachten und an der Ländte in Büren der Warenumlad von der Strasse auf den Wasserweg Arbeit und Verdienst brachte, zog unser Dorf aus dem regen Verkehr auf der «Aarbergstrasse» kaum einen Nutzen. Der Ausspruch des Johannes Stumpf, der am Anfang des 16. Jahrhunderts von seinen Reisen durch die Eidgenossenschaft berichtete, dass «alle Stadt, Flecken, Strassen und Tabernen voll Kaufleut, voll frömde Wyns, voll ausländisch Geschläcks, Gewürz und fremder War» lägen, traf für Lyss zweifellos nicht zu.
Weil das Dorf Lyss weder Marktrecht noch Zollstätte oder Schiffländte besass, vermocht ihm auch der Wasserverkehr auf der Aare, der in der Handfeste der Stadt Murten 1246 erstmals erwähnt wird, kaum wirtschaftlichen Gewinn zu bringen. Der aufblühende Schiffsverkehr war besonders auf den drei durch Broye und Zihl miteinander verbundenen Juraseen rege; aber auch die Aare verzeichnete auf der Strecke Meienried_Lyss_Aarberg-Bern_Thun einen beachtlichen Waren- und Personenverkehr. Leder- und Pelztransporte zum Verkauf und Tausch in der Messestadt Zurzach, Erzladungen aus dem Oberhasli, Holzfuhren einschliesslich der mächtigen «Holländer», die in holländischen Werften als Schiffsmaste aufgerichtet wurden, mit Salzfässern aus Burgund und Bayern beladene Weidlinge, Getreidefuhren und Weinfässer - sie alle fuhren am Rande unseres Dorfes vorbei, anziehungskräftigen Markt- und Handelsflecken entgegen.
Nicht viel anders verhielt es sich mit dem regen Passagierverkehr auf der Aare: Von ferne grüssten die bernischen Landvögte auf der Talfahrt zu ihren prächtigen «Aufzügen» in die Schlösser längs der Aare, die bernischen Schultheissen auf ihrem Weg zu den eidgenössischen Tagsatzungen in Baden, die Berner Schützen auf Vergnügungsfahrt und die 500 Täufer aus dem Berner Oberland, die im Juni 1711 auf vier Schiffen Amsterdam zu fuhren. Vorn Aareufer aus verfolgten unsere Vorfahren die Krankenschiffe des Berner Inselspitals, die in der Morgenfrühe die Stadt Bern verlassen und um acht Uhr Aarberg erreicht hatten, nun an unserem Dorf vorbeiglitten, um während der Mittagszeit in der Ländte Büren anzulegen und dann Richtung Baden und Schinznach den heilenden Bädern entgegenfuhren.
Unter traurigen Umständen kam unser Dorf dagegen mit der Aareschiffahrt in engere Berührung, als im Jahre 1687 ein mit 137 französischen Glaubensflüchtlingen (Hugenotten) beladenes Schiff wegen Trunkenheit der Schiffsleute auf eine Kiesbank auffuhr und kenterte, so dass über hundert Personen ertranken. Die Toten wurden auf dem Friedhof unseres Dorfes bestattet, während die Überlebenden zwölf Tage lang im Wirtshaus von Lyss verpflegt wurden.