Lyss in der Gegenwart ( 1977)
Aus der bescheidenen Häuserzeile am Lyssbach entwickelte sich im Laufe der Zeit, vor allem in den letzten hundert Jahren, die Ortschaft Lyss eine Gemeinde mit mehr als 8000 Einwohnern, die heute dank ihrer wirtschaftlichen Entwicklung weltweite Verbindungen pflegt. Das äussere Gesicht des heutigen Dorfes mag durch verkehrspolitische und wirtschaftliche Merkmale geprägt werden, doch ist nicht zu übersehen, dass daneben auf verschiedensten Gebieten ein reges Dorfleben pulsiert, dessen Erwähnung erst ein einigermassen zutreffendes Bild der Ortschaft Lyss ergibt und deren eigentliches Gesicht aufzuzeigen vermag.
Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die militärische Bedeutung der Ortschaft, die 1912 wegen ihrer günstigen Verkehrslage zum Korpssammelplatz bestimmt wurde. In den Jahren 1912-1914 entstanden die ersten Zeughausbauten, und seit 1939 wurden in Lyss Rekruten ausgebildet. Auf privater Basis entstand im Jahr 1944 eine Kasernenkorporation, die sich die Erstellung eines Kasernenbaus zum Ziel setzte. 1947 wurde dieser Bau in Betrieb genommen. Zu Beginn der siebziger Jahre erwarb die Eidgenossenschaft diese Kaserne und baute sie aus. Vor wenigen Jahren schliesslich konnte der neue Waffenplatz Lyss seiner Bestimmung übergeben werden.
Aus der Dorfschule des 17.Jahrhunderts, die 1633 erstmals erwähnt wird, entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte die heutige Primarschule, an der rund 1000 Kinder unterrichtet werden, und die 1878 gegründete, heute 17 Klassen zählende Sekundarschule. Mit dem Bau der Schulanlagen Stegmatt in den fünfziger Jahren, des neuen Schulhauses Herrengasse und der neuen Schulanlage Kirchenfeld konnte der vor allem nach der jüngsten Industrialisierungsphase anschwellenden Schülerzahl der nötige Schulraum zur Verfügung gestellt werden. Im Jahr 1906 wurde eine Gewerbeschule ins Leben gerufen. Sie nahm ihren Unterricht mit 45 Schülern auf; heute unterrichtet sie ziemlich genau zehnmal so viele Schüler. Zusammen mit der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Kaufmännischen Berufsschule, die 1959 in Lyss zentralisiert wurde, ist die Gewerbliche Berufsschule, an der unter anderem interkantonale Lastwagenführerklassen geführt werden, im neuen Berufsschulhaus untergebracht, das Ende der sechziger Jahre eingeweiht werden konnte. Während die verschiedenen Kindergärten nur den örtlichen Bedürfnissen dienen, erfüllen die Interkantonale Försterschule und die 1970 gegründete Heilpädagogische Sonderschule regionale Bildungsaufgaben. Im Dienste der Allgemeinheit, vor allem aber der Jugend und der örtlichen Vereine, stehen das 1956 eröffnete Parkschwimmbad, die Gemeindesportplätze, die Eissporthalle, die neuen Tennisanlagen in der Wannersmatt, der Vita-Parcours und ein Naturlehrpfad.
Das gesellschaftliche Leben der Ortschaft Lyss wird auch heute noch weitgehend durch die Aktivität der weit über hundert Ortsvereine bestimmt, die sich kulturell, sportlich, gemeinnützig oder auf andern Gebieten betätigen und weitgehend im Laufe des letzten Jahrhunderts entstanden sind. Auf eine wesentlich ältere Vereinigung des Dorfes, nämlich auf das seit 1696 nachgewiesene Collegium musicum, besann man sich im Jahr 1936 bei der Gründung des <<Kunstkollegiums››, das sich neben der Pflege der Kunst als einzige Institution des Dorfes der Heimatgeschichte annimmt. Ein Blick auf die politische Struktur zeigt uns abschliessend, dass Industrialisierung und Wachstum der Ortschaft auch auf diesem Gebiet ihre Spuren hinterlassen haben. Die traditionelle Doppelspurigkeit zwischen Einwohnergemeinde und zwei Schulgemeinden vermochte den Anforderungen der heutigen Zeit nicht mehr zu genügen. Auf Jahresbeginn 1974 wurden deshalb die vorher selbständigen Schulgemeinden Lyss und Hardern aufgehoben und der Einwohnergemeinde Lyss angegliedert. Auf den gleichen Zeitpunkt hob man die Gemeindeversammlung auf, führe einen Grossen Gemeinderat mit 40 Mitgliedern ein und reduzierte den bisher dreizehnköpfigen Gemeinderat auf neun Mitglieder. In beiden Behörden sind die vier politischen Parteien des Dorfes (Sozialdemokratische Partei, Freisinnig-Demokratische Partei, Schweizerische Volkspartei, Vereinigung für Gemeindepolitik) ihrer Stärke entsprechend vertreten.
Max Gribi