Handwerk und Gewerbe in alter Zeit
Die Wasserkraft des Lyssbachs, der oberhalb des Dorfes das Molassegestein durchbricht und dann mit stärkerem Gefälle der Aare zufliesst, diente den Dorfbewohnern seit dem Mittelalter als Energiespender.
Als erster gewerblicher Betrieb am Lyssbach wird in einer Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1246 eine Mühle erwähnt. Sie gehörte ursprünglich dem Johanniterhaus Münchenbuchsee und kam 1375 mit der Kirche von Niederlyss an das Kloster Frienisberg, dem sie bis zur Reformation als Klostermühle diente. Diese «untere Mühle» steht noch heute am Mühleplatz und ist das älteste noch weitgehend ursprünglich erhaltene Gebäude des Dorfes.
Eine zweite «muli ze Lisse», die «obere Mühle», die zum Kirchensatz von Oberlyss gehörte, taucht im April 1367 urkundlich erstmals auf. Es ist dies die Vorgängerin der heutigen mittleren Mühle in der Nähe des Kirchenfeldschulhauses. 1581 schliesslich wird eine dritte Mühle erwähnt, deren Entstehen mit der Zunahme der Bevölkerungszahl im 16.Jahrhundert in Zusammenhang stehen dürfte. Sie befand sich im Amseltal am obern Lyssbach.
Schon 1532 wird zusammen mit der zweiten Mühle von der «Blöuwen» gesprochen, das heisst von einer Pochmühle oder Stampfe, mit deren hammerförmigen Holzschlegeln die Bastfasern der eingeweichten Hanf› und Flachsstengel von holzigem und krautigem Gewebematerial getrennt wurden. In der heutigen Quartierbezeichnung «Blautmatt» lebt die Erinnerung an diesem Gewerbebetrieb weiter. Zur gleichen Mühle gehörte auch eine Reibe, in der das Getreide zerrieben und gequetscht wurde.
Zusammen mit der dritten, im 16.Jahrhundert entstandenen Mühle werden erstmals eine Sägerei und eine Öle genannt, wo Flachssamen, Buchnüsse und Baumnüsse zur Ölgewinnung gepresst wurden. 1705 stösst man bei der Erwähnung eines Brandfalles auf eine «Lovrindenstampfe», das heisst ein Pochwerk, dessen schwere, mit Messern versehene Holz- und Metallstempel durch eine Daumenwelle gehoben und fallengelassen wurden.
Einer Eintragung aus dem Jahr 1633 ist zu entnehmen, dass am mittleren Lyssbach, unterhalb der heutigen reformierten Kirche, eine Walke oder Walkmühle betrieben wurde, in der Stoffe in kreisförmige Bewegung gebracht und in einer schwach alkalischen Lauge unter Zusatz von Walkerde (weissem Ton) durch Hammerschläge schmiegsamer und filziger geschlagen und gestampft wurden. In späterer Zeit diente dieser Betrieb als Färberei, doch ging diese in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein. Eine zweite Walke und Stampfe entstand später am untern Lyssbach in der Gegend der heutigen Armaturenfabrik.
Unter den Berufen, die im Dorf Lyss im Laufe der Jahrhunderte unabhängig von der Wasserkraft des Lyssbachs entstanden, sind in chronologischer Reihenfolge zu erwähnen:
Schmiede (1606), Wirt (1626), Bäcker (1633), Näheıin (1637) oder Seiler (1649).
Die auffallende Häufigkeit von erstmaligen Erwähnungen der verschiedenen handwerklichen und gewerblichen Berufe im 17.Jahrhundert ist auf die Chorgerichtsprotokolle zurückzuführen, mit denen nach der Einführung der Reformation begonnen wurde. Obschon ältere Aufzeichnungen fehlen, darf als sicher angenommen werden, dass viele der aufgeführten Berufe schon in früheren Jahrhunderten ausgeübt wurden, wie dies etwa aus der Darstellung des Feiertagschristus in der alten Kirche hervorgeht, der von verschiedenen handwerklichen Werkzeugen umgeben ist.
Einen aufschlussreichen Hinweis auf die berufliche Struktur des Dorfes Lyss findet man in der Berufsstatistik aus dem Jahre 1798. Die Gesamteinwohnerzahl belief sich damals auf 796.
Nicht ganz die Hälfte der damaligen Stimmberechtigten, nämlich 63, waren in der Landwirtschaft tätig.
Am stärksten vertreten war das Baugewerbe mit zwölf Maurern und neun Zimmerleuten und das Bekleidungsgewerbe mit neun Webern, fünf Schneidern und vier Schuhmachern. Die meisten übrigen Gewerbe waren mit ein oder zwei Berufsleuten vertreten.
Fast alle diese Handwerker und Gewerbetreibenden führten nebenbei einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb, der ihre Existenzgrundlage etwas breiter abstützte.
Max Gribi 1977