auf dem Weg zum Industrieort

Die entscheidende Weichenstellung für die Entwicklung der Ortschaft Lyss war die Ausführung der 1.Juragewässerkorrektion. Auf sie ist die Entwicklung des Dorfes vom unbedeutenden Bauerndorf am Lyssbach zum «Verkehrskreuz›› und zum Industrieort im Seeland zurückzuführen. Die Korrektion befreite das Dorf von der jahrhundertealten Überschwemmungsgefahr, ermöglichte den Eisenbahn- und Strassenbau über den nunmehr schmalen und ungefährlichen Flusslauf der alten Aare und bot damit die Grundlage für die wirtschaftliche, bauliche und bevölkerungsmässige Entwicklung der Ortschaft.

1866 gründeten Gewerbetreibende und Handwerker die erste Bank in Lyss, die «Käserei- und Kreditgesellschaft››, die 1880 in <<Spar- und Leihkasse» umbenannt wurde. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts liessen sich im Zeichen der damaligen Wirtschaftsblüte sodann jurassische Uhrenarbeiter in Lyss nieder. In der heutigen Armaturenfabrik, die zuvor bereits als Reparatur- und Konstruktionswerkstätte gedient hatte, und in leichten Riegbauten, die man heute noch an ihren zahlreichen Fenstern erkennt, oblagen die Uhrmacher ihrer Berufstätigkeit. Doch schon zehn Jahre später setzte in der Uhrenindustrie eine Krisenzeit ein; die meisten Uhrmacher verliessen die Ortschaft wieder.

1876 wurde die Zementsteinfabrik Bangerter gegründet. Sie verwendete als Rohmaterial für die Rohr- und Kunststeinproduktion die grossen Kiesvorkommen und schloss ihren mehrfach erweiterten Betrieb 1895 an die Bahn an. lm gleichen Jahr verlegte die Ziegelei Weibel ihren bisherigen Ziegeleibetrieb in unmittelbare Bahnhofnähe.
Im Jahre 1889 waren es in Lyss indessen erst vier Betriebe, die industriellen Charakter und mehr als 10 Beschäftigte aufwiesen, nämlich zwei Betriebe der Uhrenindustrie (68 bzw. 38 Beschäftigte), eine Zementwarenfabrik (50 Beschäftigte) und die Ziegelbrennerei (14. Beschäftigte). 1890 verlegte die Biscuitsfabrik Arni ihren Betrieb von Münchenbuchsee nach Lyss, und 1899 entstand die Armaturenfabrik und Giesserei, die 1906 und während des Ersten Weltkrieges ihre Fabrikationsanlagen stark vergrösserte, indem sie die Herstellung von Pumpen, Hahnen und Ventilen aufnahm. Jahrzehntelang wies dieser Betrieb die grösste Belegschaft aller Lysser Industriebetriebe auf. 1905 waren in Lyss mehr als 50 Prozent aller Arbeitskräfte in Industrie und Handwerk beschäftigt, wobei man im Baugewerbe 410, in der Metall- und Maschinenbranche 283 und in der Nahrungs- und Genussmittelbranche 58 Arbeitskräfte zählte.

In die Zeit des Eisenbahnbaus und der ]ahrhundertwende fällt auch die Gründung verschiedener Handelsunternehmungen, die sich dank der nunmehr günstigen Verkehrslage und der ständig zunehmenden Bevölkerungszahl in Lyss niederliessen. 1875 wurde die Firma Knecht (Handel mit Stoffen und Konfektion) gegründet, 1876 folgten die Finnen Niederhauser (Aussteuern, Stoffe, Vorhänge) und Glaser (Eisen- und Haushaltwaren). 1896 wurde die Uhrensteinfabrik Roth AG gegründet, und 1899 entstand die Firma Frauchiger, die sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer weltweit tätigen Stahlhandelsfirma entwickelte.

Das günstige Wirtschaftsklima führte im Jahr 1904 auch zur Gründung einer zweiten Bank in Lyss, der Kreditkasse. In die ersten Jahrzehnte des 2o.Jahrhunderts fiel schliesslich auch die Gründung der Firmen Jost (Uhrensteine, 1902), Büchler (Modehaus, 1909), Fahrni (Metallbau, 1923), Keller (Metallwaren, 1923), Stettler (Uhrensteinpréparages, 1936), Ryser (Haushaltungswaagen, 1932). In der Zeit des Zweiten Weltkrieges schliesslich entstanden die Firmen Gerber (Landesprodukte, 1939), René Gerber (Maschinenbau, 1940), Herzog (Reisswolle, 1943), Niklaus (Engroshandel, 1944), Moser (Graphische Maschinen,1945) und Zysset (Haushaltartikel, 1946).

Die jüngste Epoche der wirtschaftlichen Entwicklung des Dorfes Lyss fällt in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Der starke Bevölkerungsanstieg nach dem Krieg hatte eine vermehrte Nachfrage nach Arbeitsplätzen zur Folge, die nur durch planmässige Ansiedlung von neuen Industrie-, Gewerbe- und Handelsbetrieben gedeckt werden konnte.

Nach ebenso langwierigen wie zähen Verhandlungen und Grenzbereinigungen mit den Nachbargemeinden Kappelen und Worben wurde 1956 am Nordrand des Dorfes ein zusammenhängendes, zwischen der Bahnlinie und der Autostrasse Lyss-Biel liegendes Areal von mehreren hunderttausend Quadratmetern Fläche erschlossen.

Das Verhandlungsgeschick der initiativen Gemeindebehörden unter der Leitung von alt Gemeindepräsident Dr.Ernst Siegfried und die Aufgeschlossenheit der Bürgerschaft, die dem finanziell aufwendigen Ausbau dieser ideal gelegenen Industriezone zustimmte, hatten zur Folge, dass sich in dem mit Kanalisationen, Strassen, Elektrizität und Bahnanschluss erschlossenem Gebiet seit 1956 verschiedene Industrie-, Gewerbe- und Handelsunternehmungen niederliessen: die Volvo Schweiz, die Giesserei und Maschinenfabrik Osterwalder, die Feinstanzwerkzeugfabrik Feintool, das Extraktionswerk der Genossenschaft Zentralschweizerischer Metzgermeister (GZM), das Regionallager der Usego und die beiden Baumaschinenhandelsfirmen Maveg und Eisenring.

Die wirtschaftliche Attraktivität der Ortschaft Lyss in den letzten Jahrzehnten führte schliesslich auch zur Eröffnung von Filialen der Kantonalbank von Bern und des Schweizerischen Bankvereins. Die Zahl der Arbeitsplätze in den Sektoren Industrie/Handwerk und Dienstleistungen zeigt deutlich die Auswirkung der gezielten wirtschaftlichen Entwicklung der jüngsten Zeit: 1955 zählte man in Handwerk und Industrie 1975 Arbeitsplätze, im Jahr 1965 dagegen waren es bereits deren 3706.

Max Gribi 1977