der Wald um Lyss
Vom Lysser Wald
Betrachten wir eine Landkarte, dann fällt auf, dass der Wald die Siedlungen der Menschen oft auf natürliche Weise gegeneinander abgrenzt. Zurückzuführen ist diese Erscheinung auf den im Verlauf der Geschichte eingetretenen Rückgang der ursprünglichen Waldfläche. Sie bedeckte das Land unserer Region nach dern Rückzug der eiszeitlichen Gletscher allmählich fast vollständig, wurde dann aber während Jahrhunderten durch wirtschaftliche Bedürfnisse des Menschen verkleinert.
Holzschlag und Waldweidebetrieb verminderten die Waldfläche massiv
Jahrhunderte lang, dies zeigen die früheren Verhältnisse in unsern Waldungen, stand der Wald für den Menschen ausschliesslich im Zeichen wirtschaftlicher Nutzung. Grossflächige Rodungen - etwa zur Zeit der Völkerwanderung (in unserer Gegend Alemannen und Burgunder), des Aufschwungs der Klöster und der aufblühenden Industrialisierung mit ihrem zunehmenden Energiebedarf - sie führten zu einem stetigen Rückgang der Waldfläche, so dass um die vorletzte Jahrtausendwende nur noch ein Viertel des ursprünglichen Waldbestandes vorhanden war. lm Mittelalter waren es Holzschlag und Waldweidebetrieb, die den Wäldern schweren Schaden zufügten. Nur eine geregelte Forstwirtschaft vermochte der Waldvernichtung und dem damals drohenden Holzmangel noch Einhalt zu gebieten. Erst im 16. Jahrhundert trifft man im Bernerland jedoch auf erste forstwirtschaftliche Bemühungen der Obrigkeit.
Der «Holzhaber›› wird eingeführt
Schon den alemannischen Ansiedlem der \/ölkerwanderungszeit diente der Wald, der zum Allmendland zählte, nicht nur als Holzlieferant für den Blockhausbau, sondern auch als Weideland für Schweine, Ziegen und Schafe. Jahrhundertelang waren in den Lysser Waldungen, die das Rickartsholz, den Baggul- und den Kreuzwald, den Wald im Finiz (Hardern) sowie die Auenwälder der alten Aare umfassten, wie erwähnt auch die benachbarten
Ortschaften unseres Dorfes, nämlich Aarberg, Kappelen, Busswil, Büetigen und Arnmerzwil, an der Nutzung beteiligt.
Umgekehrt findet man keine Hinweise auf ein «Acherum›› (Weidenutzungsrecht) der Lysser Dorfbewohner in den Wäldern ausserhalb der Gemeindemarch. Nachdem man aber um das Jahr 1700 begonnen hatte, die Waldungen gegen die Nachbardörfer abzugrenzen, wurden die Bewohner dieser Ortschaften verpflichtet, als Entschädigung für den Weidgang in den Lysser Waldungen den «Holzhaber» zu entrichten. Abzuliefern war dabei eine bestimmte Hafermenge, die als Zins für das Waldweiderecht angerechnet wurde.
Bern stellt Anspruch auf die meisten Wälder und erlässt Vorschriften
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts griff der Staat Bern, nachdem er sich zuvor auf Vorschriften für die stadtnahen Waldungen beschränkt hatte, auch in das ländliche Forstwesen ein. 1592 erliess er ein Verbot, Waldboden eigenrnächtig zu urbarisieren. lm Herbst des gleichen Jahres erhob der Staat in einer ersten Forstordnung überdies einen Eigentumsanspruch auf die meisten Wälder. 1630 wurde zudem das Verbot erlassen, in Waldesnähe Häuser zu bauen; 1641 untersagte man ferner die regellose Holzausfuhr.
ln späterer Zeit folgten 1725 die neue «Forstordnung für Staatswäldem, die Regelung für die Anstellung von forstlichen Arbeitskräften (1727) und eine neue, bereits den Gedanken der Aufklärung verpflichtete Forstordnung von 1786. Sie
war besonders auch für unser Dorf von Bedeutung, da in ihr unter anderem verlangt wurde, dass Sumpfböden ausgetrocknet und bepflanzt werden müssten. Die Schachenwalder (in Lyss die ehemaligen Auenwälder entlang des alten AareIaufs) seien zudem ebenso sorgfältig zu behandeln wie andere Waldungen.
Die «Holzgemeinde›› beschloss Verhandlungen zur Waldaufteilung
Von grösster Tragweite für die spätere forstliche Entwicklung erwies sich das 1840 erlassene «Gesetz über die Waldkantonnemente››. Es brachte auch in unserer Ortschaft eine Aufteilung des Waldes zwischen Staat, Gemeinde und
Privaten mit sich. Nachdem sich Lyss schon drei Jahre vor Erscheinen dieses Gesetzes rnit der Frage der Berechtigungsklassen auseinandergesetzt hatte, beschloss die «Holzgemeinde›› Lyss im Jahre 1842, mit dem Staat- wie bereits erwähnt- auf Teilungsverhandlungen einzutreten, «sofern es zum Nutzen der Gemeinde abgeschlossen werden» könne.
Realwald- und Personalwald
Die Verhandlungen der Lysser Burgergeschlechter dauerten rund 15 Jahre. Dies nicht zuletzt wegen der langwierigen Streitigkeiten zwischen Burger- und Einwohnergemeinde um Zehnt-, Bodenzins- und Nutzungsrechte. Vergleichbare Streitigkeiten gab es mit dem benachbarten Werdt, die auf den ehemaligen Grundbesitz des Klosters Frienisberg zurückzuführen waren. Der Staatswald wurde von allen Holz- und Weideauflagen entlastet; ausgenommen war einzig das sogenannte «Pfarrholz››.
Zu erwähnen ist im Blick auf die Auseinandersetzungen mit den Grundeigentümern auf dern Werdthof auf eine landesweit bekannte Persönlichkeit. lm Verlauf dieses Seilziehens ging es Schwergewichtig um uralte Lehensrechte, nicht zuletzt aber auch um die Holzberechtigung von «ledigen Weibspersonen››. Den Lysser Standpunkt gegenüber dem Kanton Bern vertrat 1848 auftragsgemäss der Nidauer Fürsprecher Ulrich Ochsenbein (1811 - 1890) der im gleichen Jahr als Vertreter der liberalen Neugesinnten zum ersten Berner in den neu eingeführten Bundesrat gewählt wurde.
1851 schloss die Gemeinde Lyss mit der Finanzdirektion des Kantons Bern schliessend einen Vertrag ab, worin der Staat jedem anerkannten Holzbezüger eine Jucharte Wald als Eigentum oder als Korporationsgut abtrat. Erstmals wurde dabei zwischen Realwaldbesitzern und Personalwaldbesitzern, d.h. zwischen Holzbezügern mit forstlichem Grundeigentum und Holzbezügern ohne Grundeigentum, unterschieden. Alle Weg- und Brunnenrechte der Waldungen wurden überdies den jeweiligen neuen Eigentümern übertragen. ln welchem Ausmass und ob die bis heute gültige Unterscheidung zwischen Realwaldbesitzern und Personalwaldberechtigten mit Ochsenbeins Argumenten in irgend einem Zusammenhang stehen, bleibt vorläufig offen.
Zur Nutzung zugeteilt wurden der Personalwaldkorporation damals Waldparzellen von 132,74 Hektaren im Baggul (grösste Parzelle), im Rikardsholz, im Chalchgraben (Hardern) und im Dickard (kleinste Parzelle). Sie wurden 1857 irn Grundbuch entsprechend verankert.
Jahrzehntelanges Seilziehen
Erst mit dem Kantonnernents-Urteil vorn 2. Juli 1855 konnte unter die jahrzehntelangen Aufteilungsverhandlungen ein Schlussstrich gezogen werden. Die Lysser Waldungen wurden dabei unter Staat Bern, Gemeinde (Schulwald), Personalberechtigte (Holznutzungsberechtigte mit weniger als fünf Jucharten Landbesitz) und Realberechtigte aufgeteilt (Holznutzungsberechtigte mit mehr als fünf Jucharten Landbesitz sowie grössere Holzbezüger, die in den Jahren 1839 - 1848 jährlich zweieinhalb Klafter und mehr Holz bezogen hatten).
Am 27. Oktober 1855 schlossen sich die Realwaldbesitzer zu einer eigenen Organisation zusammen. Am 27. April 1857 unterbreitete man dem bernischen Regierungsrat ein Waldreglement, in dem sowohl die Nutzung der Schulwaldungen und der Waldungen der Personalkorporation als auch die Einsetzung einer von der Gemeinde eingesetzten Forstkommission geregelt wurde.
Die heutige Personalwaldkorporation
Der weitaus grösste Teil der Lysser \/\/aldungen, die sich irn Besitz der Einwohnergerneinde Lyss befinden, wird von der Personalwaldkorporation genutzt, in der sich burgerliche Familien zusammengeschlossen haben. Die Fläche dieser Wälder macht rund 126 Hektaren aus; das zugehörige Kulturland beläuft sich auf 6,5 Hektaren. Der grösste Anteil ist dabei der Baggulwald mit rund 50 Hektaren (500 600 Quadratmeter) Fläche. 1978 kam es aufgrund einer neuen Waldgesetzgebung zur Gründung des Forstreviers Lyss, dem auch die Gemeinden Grossaffoltern, Büetigen und Busswil angehören. Revierträgerin ist die Personalwaldkorporation Lyss.
Kiesgewinnung löst nach 100 Jahren Fragen aus
lm Zusammenhang mit der Kiesgewinnung in der Bangertergrube stellte sich 1958 der Gemeinde die Frage, ob ihr ein Nutzungsrecht an den Erträgen aus dem Kiesverkauf zustehe. ln einem Rechtsgutachten hielt 1963 der beauftragte Berner Jurist, Prof.Dr. Hans Marti fest, dass die Personalwaldberechtigten einzig am Holzertrag nutzungsberechtigt seien. Die Gemeinde ihrerseits habe den durch die Kiesgewinnung verursachten Holzertragsausfall zu entschädigen. ln den anschliessenden Verhandlungen zwischen Gemeinde und nutzungsberechtigten Burgern kam man zum Schluss, dass diesen der Holzschlag und die Hälfte des Ertrags aus der Kiesgewinnung zustehe.
Eine bürgerfreundliche Feuerstelle
lm September 1998 veranstalteten die Forstorgane einen «Tag des Waldes». Ziel des Anlasses war es, die Bevölkerung über die Bedeutung, Bewirtschaftung und die aktuellen Probleme des Waldes zu informieren. lm Verlauf dieses stark beachteten Anlasses weihte man eine bürgerfreundlich gestaltete, gedeckte Feuerstelle ein. Gebaut wurde sie von Mitarbeitern des Forstbetriebes und Erwerbslosen, díe dergestalt zu einem besonders bürgerfreunlichen Arbeitseínsatz kamen.
Der Jahrhundertsturm Lothar
Während rund 20 Minuten wütete am 26. Dezember 1999 in der Schweiz der Orkan «Lothar». Betroffen waren auch Teile von Deutschland und Frankreich. ln der Schweiz hatte dieses Ereignis ein Volumen von 12 Millionen Kubikmeter Sturmholz zur Folge, d. h. (einschliesslich des Sturms Vivian) die gleiche Holzmenge, die unter normalen Verhältnissen in 80 Jahren anfällt. lm Kanton Bern registrierte man 4 - 5 Millionen Kubikmeter, in den Lysser Waldungen allein 20 - 25000 Kubikmeter Sturmholz auf einer Schadenfläche von 750000 Quadratmetern.
Zeitgemässe Regelung seit mehr als 20 Jahren
Ein parlamentarischer Vorstoss im Grossen Gemeinderat führte 1982 dazu, dass Rechte und Pflichten der Personalwaldkorporatíon neu geregelt wurden. Danach beschränkt sich ihr Nutzungsrecht auf den ordentlichen Holzertrag, den Ertrag aus einem allfälligen Kahlschlag und eine Entschädigung von 50% des Kiesertrages. Zu übernehmen habe sie umgekehrt nach einer Renaturierung die Jungwuchspflege. in jüngster Zeit (2007) wurde die Aufteilung des Kiesertrages neu geregelt, wobei sich der Grundbucheintrag von 1958 als Kernstück der Verhandlungen erwies.
Jüngste Entwicklung im Waldwesen ist das Projekt, im Jubiläumsjahr 1000 Jahre heuer einen hölzernen Aussichtsturm zu bauen (Chruzhöchi). \/on ihm aus sollen grosse Teile der heutigen Ortschaft Lyss überblickt werden können. Vornehmste Aufgabe der heute laut Gemeindeordnung tätigen Forstkommission ist die Sicherung einer gedeihlichen, auch zukünftigen Generationen dienende Entwicklung der Lysser Waldungen - eine Aufgabe, die gemeinsam mit den privaten Waldbesitzern, den Personalburgern und dem Staat Bern gelöst wírd.