Daniel Renfer
Er war - schon beruflich - so etwas wie ein Aussenseiter der damaligen Gesellschaft. Mit einem Briefboten unserer Zeit kann man ihn nicht gleichsetzen. Seine Gänge waren unregelrnässig, aber nötigenfalls musste er bei jedem Wind und Wetter, bei brennender Hitze, aber auch bei Hundekälte nach Seedorf respektive nach Lyss stapfen.
Stach die Sonne, kam er schweisstriefend ans Ziel und musste in der Wirtschaft mit einem „Vierteli“ oder einem «Halbeli» den Durst löschen; pfiff kalter Biswind und Schneegestöber um seine Ohren, half ihm die Branntweinflasche, die Mühsal des Weges zu bewältigen. Mit der Zeit wurde er ein richtiger Trunkenbold, wobei wohl einzuräumen wäre, dass nicht allein seine beruflichen Pflichten als „Zubott“ ihn zum Trinken verführten, sondern sicherlich zusätzliche Schwierigkeiten in seinem Leben dahinwirkten. Und da er diese
Schwierigkeiten nicht zu meistern Wusste, versuchte er, sie zu „ersäufen“, und zwar so sehr, dass er einmal sternhagelvoll im Schnee liegen blieb. Daneben wurde er natürlich unzuverlässig, und sein rebellisches Reden, ja noch Schlimmeres, wie wir sehen werden, brachten ihn schliesslich vor das Chorgericht.
So böse stand es um seine Zuverlässigkeit, dass er nicht zum angesetzten Zeitpunkt vor der „Ehrbarkeit“ erschien. So steht unterm Datum vom 22. Jenner 1669 geschrieben: «Daniel Renfer, Bott zu Seedorf, hat ein Absents.›› Er wurde deshalb auf den 29. Januar vorgeladen; aber da lesen wir: «Der Daniel Renfer, der Zubott von Seedorf, hatt die andere (zweite) Absents.››
Endlich am 7. February 1669 geruhte er zu erscheinen. lm Protokoll steht: «So ist auch gegenwärtig gsin Daniel Renfer, der Bott von Seedorf, welcher Ward beschuldiget, dass er farn (letztes Jahr) sich sehr mit wyn gefült, dass er im Heimgahn uf dem fäld im Schnee by kalter winterzyt gelegt, und wo man nit us mittlyden ihnne ufgehebt und anderstwo hingeführt, Were er in gfahr lebens gsin. Diewyl er aber umb verzychung gebetten, ist ihme diese that auch verzogen (verziehen) worden; wyl er aber sich sithar mehrmalen truncken gemacht und kein besserung gespürt worden, soll er neben ernstlicher Censur dem Chorgricht ein Gulden geben.“
Die Censur, mit andern Worten: eine eindringliche Moralpredigt, hätte er schliesslich noch hingenommen; aber dass er zusätzlich eine hohe Busse bezahlen sollte, das ging ihm über die Hutschnur. Er brauste auf, verweigerte Bezahlung und forderte die Herren von Lyss auf, mit ihm vor dem Landvogt in Aarberg den Handel „auszukäsen“.
Dieses Beschwerderecht stand ihm wirklich offen, und die Chorrichter mussten ihm Willfahren. Renfer selbst bestimmte das entsprechende Datum, und die beiden Vertreter des Chorgeríchts, Caspar Herrli und Nigli Berger, erschienen mit ihm vor dem Landvogt. Vorher hatte man noch mit ihm abgemacht, dass der „Unrechthabende“ die Kosten dieser Verhandlung tragen müsse. So ist wohl der folgende Nachtrag im Chorgerichtsmanual zu verstehen: «Wyl er (Renfer) dise gutherzige Warnung und straf nit annemmen, sondern uns tag für den Herren Vogt geben, so hatt ein Erbarkeit (Chorgericht) den Caspar Herrli und Nigli Berger usgeschossen, mit ihme uf dem unrechthabenden kosten hin zum Herren Vogt zu gahn.››
Was dabei herauskam, steht im anschliessenden Satze: «ist um alles verfellt und darzu in die gefencknuss gelegt worden.›› Bei „wasser, muss und brot“ hatte er gute Weile, in der „gefencknuss“ über seine Lebensproblerne nachzudenken. Üblicherweise war es nämlich so, dass einer im Gefängnis blieb, bis ihn jemand herauslöste, sofern er nicht selbst die „verfellten“ Kosten und Bussen bezahlen konnte.
Dieses klare Urteil sollte ihm eine Warnung fürs Leben sein; aber schon am 18. Februar kamen neue Klagen. Was war geschehen? Die schöne, junge Frau Maeschi aus Büren, die ganz allein hoch zu Pferd zu ihren Eltern nach Ruchwil ritt und unterwegs dem „Zubott“ begegnete, wurde diesem zum Verhängnis.