ein sonderbarer Ehebruch
Unter dem aristokratischen Berner Regime wurde Ehebruch sehr streng geahndet. Dabei unterschied man <<einfachen›› und «doppelten» Ehebruch. Einfacher Ehebruch geschah, wenn ein Ehemann sich mit einer Ledigen vergass oder wenn eine Ehefrau sich einem Ledigen hingab. Doppelter Ehebruch lag vor, wenn ein Verheirateter sich mit der Ehefrau eines andem auf Abwege begab.
Für beide Delikte Waren ganz bestimmte Strafen vorgesehen, die sich im Wiederholungsfalle verschärften. Für den ersten Fehler eines einfachen Ehebruchs gab es 15 Tage Arrest und 5 Jahre Suspension von allen Ämtem. Nach einem zweiten Ehebruch mussten die Fehlbaren 30 Tage lang in die <<Kefi›› sowie vor dem Chorgericht Abbitte tun, und der Ehebrecher war auf ewig von allen Ämtern ausgeschlossen.
Wir erkennen besonders in dieser letzten Bestimmung die löblich Absicht, die sogenannten regimentsfälhigen Familien des alten Bem von «schwarzen Schafen» zu säubern. Aber man sah noch strengere Strafen für einen dritten und vierten Ehebruch vor.
Im dritten Falle gab es 3 Jahre Landesverweisung, und bei Wiedereintritt ins Land musste der Fehlbare vor der ganzen «geergerten Gemeind» eine Deprecation leisten, d.h. um Verzeihung bitten. Verfiel derselbe ein viertes Mal auf Abwege, so sollte er «auf ewig von unserer Stadt und Landen verbannisiert seyn, und fahls er dasselbe wider betretten wurde, ohne alle Gnad mit dem Schwert hingerichtet werden›>.
Mit einem sonderbaren Ehebruch musste sich auch das Chorgericht in Lyss beschäftigen. Im Protokoll lesen wir: <<Sontag, den 5.Brachmonat 1774 habe ich der E.E. (Chorgericht vorgebracht, dass ich gestrigen Tags vom Herren Pfarrherm zu Trachselwald den leidigen Bericht erhalten wegen dem Niggi Lyb, welchen eine Barbara Rauch aus dortiger Gemeind der Schwängerung angeklagt, da sich dan auch dieser leichtfertige Kerl noch vor dortigem Herren Pfarrherren für ledig hat dörfen ausgeben und seine Hochzeit mit selbiger hat wollen verkündigen lassen, wie denn solches die Rauch, die selbst mit ihrem Vatter dagewesen und diesen Brief überbracht, auch gesagt.>›
Im Briefe selbst bat der Pfarrer von Trachselwald im Namen des dortigen Chorgerichts um nähere Auskunft über diesen Niggi Lyb, ob er wirklich in Lyss daheim sei, und man verlange, dass er sich vor dem Chorgericht in Trachselwald stelle.
Unser Pfarrer musste der anwesenden Barbara und ihrem Vater eröffnen, dass dieser Lyb tatsächlich in Lyss wohne und verheiratet sei. Er werde dafür sorgen, dass der Niggi in Trachselwald erscheine.
Mit dieser Hiobsbotschaft mussten die zwei Leutchen aus Trachselwald die mühselige Heimreise antreten. Im übrigen hatte vorläufig unser Chorgericht nur zuzuwarten; denn das Chorgericht von Trachselwald hatte den Fall schon vor das Oberchorgericht in Bern gezogen, und am 3. Juli kam von Bem folgendes Schreiben:
«Richter und Rechtsprechere des Ehegerichts der Stadt Bern, unseren freündlichen Gruss bevor.
Schon den 31. May lezthin hat sich vor Uns gestelt der Niclaus Lyb, ein Eheman, eüer Angehörige, mit den Anbringen, er habe schon zu Trachselwald freywillig angezeigt, dass er sich mit Barbara Rauch von daselbst so weit vergessen, dass dieselbe sich würklich seit fünf und einem halben Monat schwanger befinde, dass er das noch unter ihrem Herzen tragende Kind ohne genisstliches Examen von nun an als das seinige annemmen wolle,und dass sie, die Barbara,ihme versprochen, dasselbe zehen Jahr lang zu gleichem mit ihm zu erhalten. Wir haben aber damahls noch vor Beurtheilung der Sache dasigen Bericht darüber erwarten wollen. Allein, da der Lyb und seine Frau in der Meinung, derselbe werde nunmehr eingelanget seyn, heüte wieder vor Uns erschinnen, so haben wir, um sie nicht länger aufzuhalten, heütigen Tages vor allem aus das noch unter dem Herzen der Barbara R. liegende Kind dem Niclaus Lyb von nun an geschlechts-, namens-, heymats und erhaltungshalb als unehlich zugesprochen, also, dass ihme nun frey stehen soll, die Barbara Rauch für die auch vor Uns versprochene halbe Alimentation zu seiner Zeit zu belangen, da ihm sonst die Verpflegung sothanen Kinds 6 Monate nach der Geburt gegen Erlag von 3 Kronen Ammenlohn an die Mutter einzig obligen wird. Aus günstigen Betrachtungen, sowohl wegen der freywilligen Selbstanzeig als da die Ehefrau des Lybs ihm den Fehler verzogen, haben wir endlich diesen Ehebruch nur als einen leidigen Mistritt ansehen und demnach einer jeden Parthey mehr nicht als eine zehntägige oberchorgerichtliche Gefangenschaft auflegen wollen.
Gott mit Uns, Datum, den 16. Juny 1774.» Den Chorrichtern fiel auf, dass der Lyb auf das «genisstliche Examen» verzichten wollte. Normalerweise wurde nämlich die Vaterschaft erst bei der Gebuıt festgestellt, indem während den ärgsten Geburtswehen zwei anwesende Chorrichter auf die uneheliche Mutter einredeten, den wirklichen Vater zu nennen. Dies sollte irgendwie verhindert werden in diesem Falle. Was steckte dahinter?
In einer zusätzlichen Bemerkung zu diesem Brief aus Bern steht denn auch geschrieben: «Auf Verlesen dieses Schreibens haben die Chorrichter diesen ganzen Handel des Niggi Lybs als höchst verdächtig angesehen, ob nicht etwan derselbige, als ein boshafter und zu allem Schlimmen tüchtiger Mensch, möchte Geldt genommen haben und sich also zum Vatter erkauffen lassen, da dan also unehliche Kinder in die Gemeind gebracht werden. Ist also erkent worden, dass die Chorrichter darauf Achtung geben sollen, ob nicht alles könne entdekt werden.››