Krüzdicken und Ermel

«Dickgroschen›› nannte man die ersten zwei Lot schweren Silbermünzen, wie sie in Österreich seit 1479, in Sachsen seit 1485 «geschlagen››, das heisst geprägt wurden, wobei ein Lot rund 15 Gramm Gewicht bedeutet. Diese Dickmünzen waren mehr Denk- als Handelsmünzen und eigneten sich deshalb vor allem als Ehepfand.

Auch in der alten Eidgenossenschaft wurden solche Dickmünzen geprägt. Man schätzte vor allem die Zugerdicken, da der Kanton Zug im 17. und 18. Jahrhundert überaus viel und meistens gutes Geld prägte, das auch in Deutschland und anderwäıts angenommen Wurde. Aber auch die <<Krüzdicken›> galten um 1640 in Beni neun bis zehn Batzen. Der damalige Kaufwert eines Batzens im Vergleiche mit dem

Schweizer Franken heute betrug rund zwei Franken; ein <<Krüzdikken» war demnach gegen zwanzig Franken Wert, Wobei zu bedenken ist, dass das damalige Preisverhältnis zwischen Lebensmitteln, Kleidem und übrigen Verkaufsgütem nicht demjenigen unserer Tage gleichgesetzt werden kann.

Wenn also damals ein Bursche einer jungen Schönen sogar zwei «Krüzdicken›› anbot und ihr auf dem Markte in Biel noch dazu ein Paar Ärmel kramte, so hatte er feste Absichten, sie zur Frau zu gewinnen. Und wenn die Maid diese Geschenke annahm, stand dem <<Handel›› nichts mehr im Wege.

lm Falle von «Hans Stozer von Oberbüren und Bläsi Murer, des Wirtts Jungfrouw» aus Lyss schien es aber trotz vermutlicher Liebe

auf ersten Blick nicht klappen zu wollen. Wir lesen im Chorgerichtsmanual von Lyss unter dem Datum vom 26. Juni 1640: «Abermalen Chorgricht ghaltten unnd sind erschinnen Hans Stozer von Ober Büren und Bläsi Murer, des Wirtts Jungfrouw. Da Hans Stozer fürgän, wie er gemältte Bläsi Murer zwar wol zur eh gnommen, iren daruf zween krüzdicken uff die eh und volgendts zu Biel iren ein bar Errnel kramet, aber rnit denen gedingen, dass sy sich allzytt ehrlich, redlich, fromm gehaltten heige, und dass sy im und synen kinden wol wölle husshan unnd gutts thun.

Diewyl er aber hernach vemommen, dass sy ein Unehlich ghan, so sy aber im nit göffnet, sonder verschwigen, vermeint er, er könne iren die zugesagte Eh nit haltten. Diewyl er in der Ehversprächung betrogen unnd dargsezt worden, begäre deswegen den scheid und von iren gelidiget zu werden.›› Darauf die Aussage von Bläsi Murer: <<Ob sy glychwohl ein unehlich kind ghan, so hab sy nüt destominder ehrlich und redlich gedienet und sich frommcklich ghaltten; sy begäre in z“haltten, imme und synen kinden gutts zuthun. Er heige iren die eh ufrecht und redlich verheyssen und iren daruf gältt und gälttswertt gäben»

Die Abfassung dieser Aussagen ist in verschiedenen Punkten irrefiihrend, zum mindesten unklar. Wenn es heisst, Hans Stozer habe sie «zwar wol zur eh gnommen››, könnte man meinen, er habe sie wirklich geheiratet. Dies ist kaum so, denn es heisst, erst daraufldin habe er ihr ein Ehepfand gegeben. Eher könnte man annehmen, Stozer sei Witwer gewesen mit unerwachsenen Kindern, ihr zumutend, «dass sy im und synen kinden wol wölle husshan und gutts thun››.

Diese Punkte wären in den Ehe-, Tauf- und Sterberodeln der Burgergemeinde Büren möglicherweise klarzustellen. Unsicher ist ferner, ob die Chorrichter von Lyss wussten, dass Bläsi Murer ein uneheliches Kind hatte und ob sie nach damaliger Satzung ihren Fehltritt im Gefängnis abgebüsst habe. Sie war nämlich gebürtig von Tramlingen (Tramelan), und die kannten sie nun freilich als gute, treue Magd bei dem Wirt in Lyss. Ihre rührende Aussage vor Gericht, dass sie trotz dem unehelichen Kinde «ehrlich und redlich gedienet und sich fromrncklich ghaltten; sy begäre in z haltten, imme und synen kinden gutts zu thun››, verfehlte auch nicht den Eindruck auf die gestrengen Stittenrichter. Im Grunde hätten sie der von schwerem Schicksal Geprüften wohl gerne zu einer glücklicheren Zukunft verholfen. Bläsi selber wäre zufrieden gewesen, auch nur als «bessere Magd›› für Stozer und seine Kinder zu dienen; aber die damaligen Rechtsgrundsätze hinderten das Chorgericht von Lyss, eine solche Lösung zu treffen. Wir lesen im Protokoll; «Als wir nun klag und antwortt angehörtt, ist erkennt worden, dass sy (Stozer und Bläsi Murer) uff des Junckeren Vogts willen und wolgfallen hin söllen gen Bern für ein ehrsam Chorgricht gwisen syn, wytteren bscheid alda zu erwaltten.›› Mit einer «ich wasche meine Hände in Unschuld» ähnlichen Geste übergaben sie also den Fall dem obem Chorgericht der Stadt Bern, und fast zynisch wirkt der Schluss des Protokolls, wo es heisst: «Ist auch erkennt Worde, dass er (Stozer) ein Gulden, sy, (Bläsi Murer) ein halben gulden erlegen sölle. Syn guldin hett er gleit und ist angänz theilt worden, den andren halben vertheilt guldin hett der weibel empfangen. By disem Clıorgricht sind gsyn der Predicant, Meyer Daniel Riss, Nig1iHerrli, Hans von Tach, Bendicht Kläntschi, Bendicht Lobsinger und der Weibel.›› Und was kam in Bern heraus? Am Freitag, dem 26. Juni 1640, erschienen Hans Stozer und Bläsi Murer vor dem obem Chorgericht,

das sich an diesem Tage aus folgenden Herren zusammensetzte: Koch, Langhans, Rüthimeyer, Wytenbach, Grafenried und Koler. Was blieb ihnen anders übrig, als nach den damals allgemeingültigen Chorgerichtssatzungen zu urteilen? Deshalb lautet darüber das

Protokoll: «Hans Stozer von Oberbüren hat sich ab Bläsina Murer von Tramlingen erklagt, dass sy imme, da er ira die Ehe versprach, den begangenen Fähler, dass es ira ein unehelich Kind worden, verhalten habe und deswegen von ira gescheiden zu werden begärt. Und wyl sy nun diser clag bekantlich, ist er uss crafft der sazung ledig von ira erkent, beide in vorige freyheit gstellt, der costen ufgehept und ira befolchen worden, imme alles das, so er ira uff die Ehe geben, restituieren solle.›>