Wirtshuss statt predig
Eine der vielen Aufgaben der Chorrichter lautete: «Nach luth(Laut) der Satzungen und Mandaten zu straffen als da sind: muttwillige versumer und verachter der Predigen des heiligen Göttlichen worts und heiligen Sacramenten.››
Eines solchen Vergehens wegen wurde am 5. Dezember 1633 Steffan Löffel zu Worben vor das Chorgericht zu Lyss zitiert. Wie kam es dazu?
Steffan und seine Frau begaben sich rechtzeitig auf den Weg zur Predigt nach Lyss. Als sie mit andern Kirchgängern vom Fährmann über die Aare geführt wurden, wusste dieser zu melden, dass wieder einmal französische Soldaten auf dem Durchzug im Wirtshaus in Lyss über Nacht geblieben seien und viel Neues zu erzählen gewusst hätten. Das beschäftigte Steffan auf dem weitern Weg so sehr, dass er, ob wirklich oder nur eingebildet, einen so heiligen Durst Verspürte, dass er beim Wirtshaus - damals gab°s nur eines in Lyss - zur Frau sagte: «Geh vorab zur Kirche; ich muss einfach noch etwas trinken.›› Und ehe sie etwas einwenden konnte, sass er in der Wirtsstube mitten unter den Franzosen, trank mit ihnen Freundschaft und
vergass unter ihrem Geplauder natürlich vollständig, dass er zum Gottesdienst gehen sollte. Aber es kam noch Schlimmeres dazu: Als ihn ein Kirchgänger nach der Predigt auf sein sträfliches Verhalten aufmerksam machen wollte, gab er ihm zum Bescheid, das gehe ihn einen Dreck an; schliesslich müsste er nicht nach Lyss, sondern nach Nidau zur Kirche gehen, und nur das Gericht von Nidau sei über sein Verhalten zu urteilen zuständig.
Solche Redensart war den Lyssern denn doch «zu starker Tabak››. Die Reaktion blieb nicht aus. So lesen wir unter dem Datum vom 5.Dezember 1633: «Steffan Löffel zu Worben wurde beschickt, wegen dass er an einem Sonntag, als die Franzosen allhie fürzogen und er mit syner frouwen uff dem kilchweg gsyn, in das Wirtshuss gangen und alda bywyl (während) der predig mit den franzosen getruncken, ouch dass er in einem zech (bezecht) gredt, er ghöre nit in dise gmein, weder z”kilchen noch z”gricht, sonder er ghöre in die gmein Worben und in das gricht Nydouws...››
Das alles gab er zu,getan und gesagt zu haben,<<und deswegen, dass er von trinckens Wegen die predig versumpt››, wurde er «um 3 pfund buss und von den truzlichen und spöttischen Worten, die gmein (Gemeinde Lyss) betreffend, abermalen um 3 pfund buss, und dem Chorgricht zu handen um 2 pfund Chorkosten erkennt und zur nüchterckeit und bscheidenheit vermant››.
Anmerkung: Die Franzosen, die hier erwähnt werden, waren Soldaten des berühmten Feldherrn Herzog von Rohan, der im Auftrag
von Kardinal Richelieu im Graubünden und Veltlin gegen die Osterreicher und Spanier kämpfte.