Hans Steineggers Hochzyt
Leider, leider sind alle Tauf-, Ehe- und Sterberodel unseres Dorfes aus früheren Jahrhunderten verlorengegangen. Nur mit Rückschlüssen aus Eintragungen im Chorgerichtsmanual können wir feststellen, dass Hans Steineggers Hochzeit Ende April oder Anfang Mai 1666 stattfand; aber nicht einmal der Name seiner Braut lässt sich einwandfrei feststellen.
Immerhin, es muss ein schöner Tag gewesen sein, einer jener ersten richtig warmen Frühlingstage, die freudig und froh stimmen. Und mit einiger Phantasie können wir uns vorstellen, dass an diesem Tage, da Hans Steinegger mit seiner Braut vor den Traualtar trat, die Stimmung der anwesenden Hochzeitsgäste besonders gut war; der Bräutigam und vermutlich auch die Braut gehörten begüterten Familien an, und so zählten denn auch die Eingeladenen zu den sogenannt besseren Familien damaliger Zeit; Chorrichter waren vertreten und andere, wie wir noch sehen werden. Und - wieder mit etwas Phantasie - stellen wir uns vor, dass nach der Feier in der Kirche, die schöne Braut mit dem makellosen Jungfernkränzlein auf dem Kopfe von zwei kräftigen jungen Burschen nach altem Brauch in einem Ruck in den Sattel des Pferdes gehoben wurde; wir sehen die frohe Gesellschaft über die Bachbrücke und an der alten Mühle vorbeiziehen in Richtung Hans Steineggers Hof; dort überreicht man der Braut vor der Haustüre frischgebackenes Brot, das sie anschneidet und unter das sich besammelnde Bettelvolk verteilt, womit nach alter Überlieferung der Segen und Wohlstand ihrem neuen Heim gesichert sein soll. Dann sehen wir schliesslich die ganze Hochzeitsgesellschaft beim Festmahle: da gab”s das traditionelle Schafsvoressen, mit Safran gewürzt, hernach eine Bernerplatte, wie sie im Buche steht, und reichlich Tranksame dazu, einfach herrlich! Steineggers hatten nicht vergeblich auch den «Gyger Stephan Möri und sin frouw›› zum Festmahle eingeladen. Man begann zu singen, Stephan spielte dazu und fuhr anschliessend mit einer lupfigen Weise im Dreivierteltakt weiter, dass sich das Volk nicht mehr stillhalten konnte; und da drinnen nicht genügend Platz zum Tanzen war, versuchte man es in der Tenne und sogar in der Hofstatt um einen wundervoll blühenden Apfelbaum...
Doch hier hört unsere Phantasie auf, und wir müssen in die traurige Wirklichkeit zurückfinden. Was war geschehen? Am folgenden Tage schon wurden die Hochzeitsleute vom Chorweibel mit dem Aufgebot überrascht, am «Frytag, den 4. May 1666» vor Chorgericht zu erscheinen, «von Wegen, dass sie an Hans Steineggers Hochzyt gedanzet haben››. So erschienen denn an jenem Freitag «Bergers Anni, Melcher Bentzen Sohn, Peter Steinegger, Kläntschi Cenzens Sari, Hans Rysen Daniel, Rudi und Anni, Peter Arns Babi, Anni und Niggi, der hochzyter Hans Steinegger, Gyger Stephan Möri und sin frouw, Daniel Rysen sel. (des Verst, Meyers) Daniel und Christen, Hans Löffels Christen“.
Im Protokoll steht weiter geschrieben: «Dise alle, usgnommen Stephan Möris frouw und Hans Becks frouw, so nit erschinnen, leügnen, dass sie getanzet heigen; Hans Löffel, der jezige Chorrichter, hatt sinen Sohn Christen, der nit erschinnen, entschuldiget, sin Sohn sige nit dört am dantz gsin.››
Die Chorrichter stutzten. Was sollte man da machen? Wer hat überhaupt jemanden tanzen gesehen? Dem Chorgericht in Lyss selbst wurden keine Anklagen laut. Es erhielt den Befehl zur Bestrafung vom Landvogt in Aarberg. Jemand muss also direkt den Vogt orientiert haben. War das so ein «lieber Nachbar» von Steineggers? Einer, der aus Neid und Rachsucht handelte und dazu noch auf Zeugenentschädigung, sogenanntes „Kundtschaftsgelt“ spekulierte? Oder war es jemand, der Wirklich aus sittlicher Entrüstung zum Landvogt lief? Die Chorrichter wollten es wohl bedenken und sicher gehen; denn schliesslich stand ja auch ein Passus im Tanzverbot, der lautete: «dass man sich dessen (des Tanzens) mässigen solle>›. Also war's doch nicht absolut verboten, und einige unschuldige Freudenhüpfe um einen blühenden Apfelbaum herum waren doch sicher noch kein sündhaftes Unterfangen, oder?
Die Chorrichter wer weissten, wie es weiter gehen solle, und also kam man zum Beschluss, «dass die Zeugen vor dem Herren Vogt und mir, dem Predicanten, söllen verhört werden››. Mit andem Worten: der Prädikant erhielt den Auftrag, beim Vogt in Aarberg um eine Unterredung in Anwesenheit des oder der Ankläger zu ersuchen, und je nach Befund würde man dann die Angeklagten nochmals vorladen.
Das Ergebnis dieser Unterredung war so eindeutig, dass sämtliche Angeklagte zum zweiten Male antreten mussten, und der Vogt wollte diesmal selbst anwesend sein. Das entsprechende Protokoll lautet: «Sontag den 13. May 1666 ist in bysin Herren Hans Ludwig Frischings, Vogt zu Arberg, Chorgericht gehalten worden, alwo neben obangezogenen (obgenannten), doch Nigli Bergers Anni usgenommen, auch erschinnen sind Hans Becks frouw und Stephan Möris frouw, welche beide wider, wie auch die übrigen widrum geleügnet, dass sie getantzet habind.››
Diesmal war der Vogt überrascht. So etwas hatte er nicht erwartet. Das roch schon eigentlich nach Verschwörung. Ohne Eingeständnis der Angeklagten durfte man keine Strafen aussprechen ohne beeidigte Zeugenaussage. Das musste nachgeholt werden. Daher wurde beschlossen, «dass man die kundtschaft noch eigentlicher erkundigen sölle, abermalen in geheim, wie zuvor zwischen ehrengedachtem Herren Landvogt und mir, dem Predicanten››. Und gleich anschliessend berichtet der Prädikant darüber; «Diss ist geschechen Frytag den 17. May zu Arberg, da dann zwo ehrliche, unverworfene (unbescholtene) beeidigte manspersonen widrum wie zuvor bezüget, dass sie geseehen heigen, wie sie getantzet heigen; der cinte zwar hatt nur zwo Personen gemeldet, auch darby gesagt, dass sie umb den baum in der hofstatt by Hans Steineggers haus gegem abendt getantzet heigen; er heige auch ghört darzu gygen, den gyger aber selbs heige er nit gesechen. Der ander hatt ein gliches gezüget, welcher aber ihrer vil vermeidet, die er selbs gesechen tanzen, und wo
es von nöthen, auch mit dem Eyd bezügen dörfte; diser hat es auch alsobald, do der tantz geschechen, und in wenig tagen darnach, do die sach noch frisch war, dem Herren Vogt angezeigt.››
Aha, jetzt war‘s klar: es waren also sogar zwei, die zum Vogt liefen. Warum? Das wissen wir nicht genau, und auch die Namen dieser Angeber kennen wir nicht. Offenbar traute man deren Aussage nicht mit absoluter Überzeugung, und es scheint fast, als hätte man weitere Nachforschungen gemacht, denn erst einen guten Monat später kam es zum ersten Urteilsspruch. Da steht unterm 29. Juni 1666 geschrieben:
«Die anwesenden tänzer sind nach der sazung gestraft worden, ein knab und mansperson umb 1 gulden und eine wybsperson oder tochter umb einen halben guldi, als da sind: Bergers Anni, Cenzs Sari, Hans Rysen Daniel und Anni, Peter Arns Anni, Daniel Rysen, säligen, Daniel und Christen, Hans Becks frouw.
Die übrigen sollen znechst bescheiden (aufgeboten) werden, und ist erkent, dass der kosten, so der predicant forderet, auch mit den zügen ufgeloffen, deren jeder für jetlichen tag einen halben gulden haben soll (!), uss der täntzeren strafgelt solle genommen Werden.“
Dies war der Beschluss des Chorgerichtes in Lyss, und der Prädikant fügt bei: «Dise straf der tänzeren ist den l. Aug. vom Herren Vogt gebilligt worden» Und die übrigen kamen tatsächlich auch noch dran. Am Freitag, dem 13. Juli, erschienen: «Peter Arns Babi und Niggi, Stephan Möri, welche widrum geleugnet, dass sie an des jungen Ilans Steineggers hochzyt gedantzet heigen; wyl sie aber überzüget (überführt) waren, sind sie nach der Chorgerichtsazung gestraft worden.››
Schliesslich, am 17. Juli, «sind vor Chorgricht erschinen, der jung Hans Steinegger und Melcher Benzen sohn, wegen dass sie an jenes Hochzyt getanzet haben söllen; hend zwar geleügnet, Wyl sie aber überzüget, soll jeder nach der sazung umb 1 guldi gestraft sin.“
Stephan Möri, den «Gyger››, traf es besonders hart, denn die erwähnte Chorgerichtssatzung schrieb vor, «die Spillüth mit drytägiger und nächtlicher gfangenschafft zeschaffen, damit disers üppiges wäsen, so wyt müglich, abgeschafft werde››.