Das Verhör
Diesmal war's eine gewichtige, sehr gewichtige Angelegenheit. Darum die Anwesenheit sämtlicher Richter im Chorgestühle der Kirche !
In der ersten Bank, gerade gegenüber der Kanzel, sass der „Meyer“ Peter Arn, neben ihm der „Statthalter“ Caspar Herrli, dann folgte Hans Küng, der schon seit 1630, also volle 40 Jahre Ottiswil im Lysser Chorgericht vertrat, ferner Nigli Berger, seit 1647 im Amt, Hans Beck, der von 1661 bis 1694 wirkte, vermutlich ein Sohn des verstorbenen
Prädikanten Balthasar Beck, dann die 1668 durch den Landvogt Joh. Ludwig Frisching neu ernannten drei Richter; Cuni Marti, sonst Sager Cuni genannt, Hans Ryss, ein Sohn des Daniel Ryss, der über 40 Jahre lang als Meyer dem Gericht Vorstand, schliesslich Cenz Klentschi, Spross einer Familie, die vollständig aus Lyss verschwand, jedoch im deutschen Odenwald unter dem Namen Glenz zu hoher
Achtung gelangte, und natürlich waren dabei, Daniel Struch, der Weibel, und der Prädikant Niclaus Walthart, der das Protokoll führte.
Diese ehrwürdigen Männer vorne im Halbrund des Kirchenchors machten sichtlich Eindruck auf die anwesenden Parteien und Zeugen, die diesmal in ausserordentlich grosser Zahl vertreten waren. So sassen denn auf den ersten Bänken im Kirchenschiff die Kläger: «Hans Ulrich Mäschi und sin wyb Elsbeth Hügli von Büren, sampt ihrem Vatter Nigli Hügli von Ruchwyl, wie auch ihr Bruder Hans Hügli.››
Auf der andern Seite des Ganges war der Angeklagte Daniel
Renfer, „Zubott“ von Seedorf, und neben ihm sein Sohn als Rechtsbeistand.
Weiter hinten gruppierten sich die Zeugen. Nun wurde die Verhandlung eröffnet. Zu Beginn, das war so offenbar Vorschrift, musste durch den Ankläger «in bysin des verantworters (des Angeklagten) den zügen (Zeugen)›› die Anklage «vorgeäuffnet (erläutert)›› werden. Das geschah. Der Fall war freilich allen bekannt; es handelte sich um einen Nötigungsversuch Renfers gegenüber Frau Mäschi.
Hierauf fragte man Daniel, den Angeklagten, ob er etwelche Einwände zu machen hätte. Jawohl, das hatte er; er antwortete: «er heige sie nüt ufgehalten; er sige so gut als Mäschi; item, der Müller heige nüt zu zügen, er sige ein vergeltstagter man.››
Dieser letzte Einwand verlangte eine Abklärung. Rechtlich War es damals nämlich so, dass ein Verlumpter aller bürgerlichen Rechte verlustig ging und deshalb seine Aussagen vor Gericht nichts galten. Der Meyer, Peter Arn, hielt deshalb eine Umfrage, die jedoch „einhälig“ ergab, «dass der Müller zügnuss von ihm geben möge, wylnoch kein geltstag verkündigetworden, auch nitin wüssen, ob er zu bezahlen heige oder nit und die sach schon zuvor sich zugetragen, ehe man gwüst, ob er, der Müller, sin gut den gältem darschlagen werde››. Andere Einwände galten auch nicht; so konnte man zur Zeugeneinvernahme schreiten. «Den Zügen ward ernstlich fügehalten, dass sie nichts anderes zügen sollen, dan die lutere warheit, was sie selbs diss handels wegen gesechen und gehört haben.››
Das Protokoll über diese Aussagen ist reizvoll und auch aufschlussreich über damalige Weg- und Verkehrsverhältnisse, dass wir es, so weit wie möglich, im Originaltext folgen lassen. Es lautet:
«Züget desswegen: Barbli Berger, dess Immer Steineggers Ehewyb, sie heige ghört,
dass sie gwortet heigen, aber nit verstanden; der Bott heige das Ross bim faldthürli erwütscht, dass sie abgefallen sige; sie heige die fr. (Frau) nit kent, aber den Botten; da heige die fr. vort Wellen, er aber heige sie nit wellen lassen gahn; er heige das Ross bim stiel erwütscht.
Hans Scheidegger, der ober Müller: er habe nach Arberg Wellen. Sie heige den Botten umb Gottes willen bätten, er wölle sie lassen für ryten, sie sige etwas mahlen us dem wäg gritten, dass sie könnte fort kommen, aber er heige das ross bim stiel erwütscht. Sie heige ihm Schelm und Dieb gseit. Er aber: er welle ein Kätzer, ein Schölm dess
Tüfels sin, wen sie für ihn müsse. Sie heige ihn, den Müller, umb Gotts willen bätten, dass er ihra von dem Schölmen helfe; ob er meine, dass sie sin hur welle sin? Das wolle sie nit thun. Sige hiehar dem Siechenbach geschechen. Sie heige gseit, sie welle ihm, dem Müller, gärn zu essen und zu trincken bezahlen, er sölle ihra nur von ihm helfen; er aber heige geantwortet, er heige nit glegenheit.
Michel Finck: er sige von Arberg kommen; hieharwerts dess stägs sige er zu ihnen kommen: heige gesechen, dass die frauw heige wellen fürfahren, aber Daniel heige sie ufgehalten. Er heige nit ghört, dass der Bott ihra etwas ungebürlichs angemuttet; Daniel heige das ross bim zaum erwütscht, er heige sie nit Wellen lassen fürfahren. Sie heige ihm, Michel, klagt, er heige ihra die sachen angemuttet; Daniel heige
nüt druf geantwortet, er, Daniel, sige truncken gsin, wie ihn gedunckt habe. Sie heige gseit, er, Michel, solle den Mann, namlich Durs Moser, nachin mahnen, welches er auch gethan.
Bartli Bürgi, Hansens Sohn zu Lyss: er sige von Arberg kommen; er heige sie hienachen dem Siechenbach angetroffen. Daniel sige im wäg gestanden und habe gseit, sie sölle dess Herr Gotts sin und sölle kon. Sie sagte: meinstu, dass ich din hur sölle sin? Der Daniel sige etwan ein steinwurfwyt von ihra gsin, do sige er, Bartli, die frauw und Durs Moser zusamen kommen. Daniel heige gewartet; der Mann sige
mit ihra gangen; do sie zum Daniel kompt, habe er gseit, sie solle mit ihm abschaffen, sie aber geantwortet: wohar? Er, Bartli, sige gangen. Die frauw und Durs sigen mit einanderen fortzogen.
Durs Moser: er sige von Arch kommen; do er nun uf dem fäld nacher Arberg unden durch gangen und vast zum stäg kommen, heige er die frauw gsächen hin dersich ryten; sie heige grinnen (geweint). Do heige er, Durs, gseit: was ist, Elsi? Sie heige geantwortet, er mutte ihren sachen an, die der Ehren sich nit zimmen (geziemen). Do heige er zu ihren gseit, sie sölle fahren, er welle mit ihren; do aber die frauw zum Daniel kommen, heigen sie mit einanderen balget; Elsi habe gseit: du Schelm, sag mir aber, was du vorhin gseit hast. Da sage der Daniel: so gwüss bistu eine; do seit sie, er sige der ander.››
Gesamthaft gesehen, schien der Fall eindeutig klar. Die verschiedenen Aussagen ergänzten und bekräftigten einander so sehr, dass Daniel nicht mehr zu retten war. Ja, man fand es offenbar nicht einmal mehr nötig, den Angeklagten nochmals zu Wort kommen zu lassen. Nach kurzer Besprechung verkündete das Chorgericht folgendes
Urteil:
1. «Wort und werck sollen ufgehoben sin.›>
Diese Bestimmung bewirkte, dass vor allem Daniel Renfer keine Klage gegen Frau Mäschi geltend machen konnte, wiewohl sie ihn vor Zeugen als Schelm und Dieb titulierte.
2. «Wer busswürdig, solle mit dem Herren Vogt abschaffen» Der Landvogt konnte gewisse Vergehen, wie Trunkenheit, öffentliches Ärgemis, Missbrauch des Wortes Gottes, Verleumdungen usw. mit Bussen belegen. Darum dieser Vorbehalt des Chorgerichtes.
3. «Der Bott solle dem Mäschi für ihr kosten und bekümmernuss geben 2 kronen, das usgeben gelt (Reisekosten usw.) sonderbar wider insecklen»
4. «Soll auch 24 stund ingethürmet werden.››
5. «Dem Chorgricht für beide versamlungen Sitz- und Urtheilgelt 2 gulden.››
6. «Für jede Kundschaft (Zeugen 7, deren fünf, fünf schilling.››
7. «Dem Predicanten und dem weibel für ihre Mühe, sonderlich
dem weibel für usgeben gelt, gnug thun.“
8. «Jeder Kundtschaft soll er einen halben gulden geben, die von
anderen orten harkommen, den hiesigen 10 schilling, und so Mäschi
sie befridiget, so soll es ihm der Bott wider inhändigen»
9. «Wyl er nit zu bezahlen hatt, soll er nit us der kefi gelassen werden, bis er dem Chorgricht und den übrigen gnug gethan hatt.“