Niggi der Schneider
Hans und Niggi Waren die beiden Söhne des Sigristen Hans Kläntschi. Hans würde einmal das kleine Anwesen des Vaters übernehmen; also musste Niggi sich nach einem andern Beruf umsehen. So schwer fiel es ihm nicht. Er war ein flinkes, intelligentes Bürschchen, jedoch nicht von sonderlich kräftiger Statur; Schneider zu werden schien ihm gerade richtig. Er malte sich bereits immer aus, wie er einmal auf der Walz in grosse Städte reisen, fremde Schneiderart kennenlernen Wolle und die vielen interessanten Dinge wirklich sehen, von denen er erzählen hörte.
So reiste er am Ende seiner Lehrzeit vorerst nach Genf, später bis nach Lyon und vermutlich bis nach Paris; denn als er wieder daheim in Lyss auf der Stör schneiderte, wusste er gar wunderliche Dinge zu berichten: In Lyon habe er eine Walkeanlage besichtigen können, die hundertmal so gross sei wie die Walke in der Studengasse am
Lyssbach. Die Strassen seien so breit, dass die alte Römerstrasse vom Gimmiz her gegen Unterworben im Vergleich dazu wie ein Feldweglein aussehe, und die noblen Damen tragen dort so weite Röcke, dass ein halbes Dutzend „Meidleni“ darunter sich verstecken könnten wie «Hüendscheni under einer Gluggeren››. Über das Schloss von Versailles konnte er den Leuten nicht genug berichten, so dass er manchmal verleitet wurde, die Dinge auf eine Art auszuschmücken, dass sie mit der Wirklichkeit bei weitem nicht mehr übereinstimmten. Aber er merkte: Man glaubte ihm, und deshalb juckte es ihn, auch in anderer Hinsicht den Leuten Eindruck zu machen. Das ergab sich auf eine ganz einfache Art: An einem Nachmittag, da man in Aarberg Markt hielt, sollte er zu Jaggi Bürgin in Spins auf die Stör. Das passte ihm. Er ging im spätern Vormittag auf den Markt in Aarberg, um noch einige Zutaten zu kaufen: Futterstoff, Faden, Knöpfe. Das hatte er bald erledigt. An einem Stand hörte er einen Theriakkrämer mit heiserer Stimme seine Wunderheilmittel anpreisen.
Dann kam er am Stand eines „Gütterlikrämers“ vorbei, wo er ein «Gütterlin mit zweyen Handhäblinen» erblickte, das ihm ganz besonders gefiel. Hatte nicht Hans, sein Bruder, gesagt, er sollte eine neues Tintenfläschchen haben? Dieses würde sich sicher dazu eignen, und zudem war es schön. Also kramte er es für seinen Bruder, ging nachher befriedigt in den „Falken“ zum Mittagessen und war nachmittags rechtzeitig bei Bürgins in Spins.
Dort erwarteten ihn besonders die zwei Töchter Bäbi und Trini. Nicht, dass er für sie schneidern musste, aber die jungen „Ganggelmeitleni“ hörten ihm so gern zu und stellten ihm immer neue, manchmal recht verfängliche Fragen über seinen Aufenthalt in Paris.
Da spienzelte er ihnen das Fläschchen und sagte mit todernster Miene, das hätte ihn bereits vor viel Unheil bewahrt; er habe es von einer Wahrsagerin erhalten für einen Dienst, den er nie in seinem ganzen Leben verraten dürfe. Sie habe ihm gesagt: «Garde-le, n'oublie jamais à le tenir dans ta poche! » Französisch verstanden zwar die beiden Töchter nicht, aber umso grösser war der Eindruck und „Gwunder“. Das Fläschchen mussten sie genauer anschauen, das war sicher. Niggi hatte es wieder in seine Busentasche gesteckt. Sie schauten ihm scheinbar sehr interessiert über die Schulter zu, wie er seine Nadel führte, und in einem geeigneten Augenblick, da er über einen ihrer Spässe herzlich lachen musste, reckte das Babi ihm in die Busentasche, und raus war das „Gütterli“. «Um Gottes willen!›› rief Niggi, scheinbar todunglücklich, „versündiget euch nicht, gebt es sofort wieder her, damit euer Leben nicht
gefährdet sei!“ Das tönte so überzeugend, dass das Bäbi ganz erschrocken ihn bat,
das Fläschchen wieder an sich zu nehmen. Er steckte es in die Busentasche, nahm Faden und Nadel, nähte auf feierliche Weise mit einigen Stichen die Tasche zu und atmete dann scheinbar so erleichtert auf, als ob er von einem Alptraum erwacht Wäre.
Mit keinem Wort wurde während der restlichen Dauer der Stör das Fläschchen erwähnt. Wenigstens nicht in Gegenwart des Schneiderleins. Aber ihren Freundinnen und Bekannten tuschelten sie darüber Tatsächliches und, wie es so geht, Zusätzliches ins Ohr, dass bald einmal ein abstruses Gerücht über das Fläschchen bis nach Lyss
drang.
Niggi selbst hörte davon und schmunzelte Vergnügt, besonders als er vernahm, man glaube auch, er könne Wahrsagen. Er nahm sich vor, das alles fein säuberlich auszunützen. Er hielt deshalb das Fläschchen noch in seiner zugenähten Busentasche; aber, da er es doch seinem Bruder geben wollte, sann er auf ein anderes wundertätiges Mittel. Der Theriakkrämer von Aarberg kam ihm wieder in den Sinn, und so nähte er aus einem Rest Futterstoff ein kleines Säcklein, füllte es mit
hartem Brot, Baumrinde, Gerstenkörnern und Salz und band es zu. Das Wollte er, so redete er auf sich selbst ein, immer bei sich tragen, damit es ihn vor Unheil schütze, wenn er in die verschiedenen Häuser auf die Stör gehen müsse. Die Idee gefiel ihm so gut, dass er beinahe selbst an die Wirkung glaubte; er hatte ja, wie wir wissen, eine sehr rege Phantasie. Hatte nicht auf dem Aarberger Markt ein Theriakkrämer ähnliche Säcklein feilgeboten, die Wundermittel sogar gegen die Pest enthielten? Ja, das hat er sagen hören: Als im Jahre 1669 allein in Grindelwald über siebenhundert Personen an der Pest starben, legte man den Angesteckten auch auf ihre „Knübel“ einen Brei von «Vier gebratenen Zwiebeln, Sauerteig, Taubenkot, Seife, Theriak, Milch, einem Löffel Skorpionöl und zwei Eidottern››. (Ch. Rubi: Die Pest in Grindelwald)
Warum sollte sein Säcklein nicht auch eine gewisse Wirkung ausüben? Schliesslich - so sagt doch auch der Prädikant - kommt es auf den Glauben an! So begab er sich an einem der nächsten Tage auf die Stör zu Bendicht Martin „in der Sagi“, und kurz danach war er bei Benz Steinegger.
Offenbar hatte er hier aber seiner Phantasie doch zu freien Lauf gelassen, denn am 15. November 1700, nach der Abendpredigt, «ward dem Chorgericht angebracht worden, dass des Sigristen Niggel, der Schnyder, mit ganz Verdächtigem und Schlimmem umbgehe. Er trage by sich ein Gütterlin und thüie hin und wider unterschiedenlichen Personen und Leüten wahrsagen.››
Den Chorrichtern schien die Sache so Wichtig, dass sie beschlossen, «die vernammseten Personen, die zum Theil das by sich tragende Gütterlin gesehen, zum Theil dann gehöret, welchen Leüten er wahrsage, alsobald, noch ehe jemand von disen Dingen Wüssenschaft haben möge, im Pfrundhaus zu verhören››.
Solche «vernammsete Personen» waren Bendicht Martin in der Sagi, Meister Herrlis Frau und der Schulmeister. Diese wurden durch den Weibel dringend aufgeboten, nachmittags im Pfrundhaus vor Chorgericht zu erscheinen.
Was denn los sei? begehrten alle drei erschrocken zu wissen, denn sie fühlten sich keines Vergehens schuldig. Der Weibel deutete ihnen nur an, worum es gehe, aber sie sollten ja Vorher niemand etwas Verraten.
So packte denn am Nachmittag Bendicht Martin über Niggi, den Schneider, aus, „ja, er heige ein Gütterli by im ersehen, da er vor etwas Zeits in seinem Haus auf der Stör gsin. Niggi habe es aus dem Buse in den Sack gestossen, und da er ihn zu Red gestellet, worumb er das Gütterlin habe, heige er ihm zur Antwort geben, er trage es by ihm, damit ihm nüt widerfahre. Und heige er, ja, seiner Frauwen wahrgesagt, also, dass er ihr die Hand genohmmen, gedrücket und gesagt, sie werde keine Kinder bekommen»
Dann wurde Meister Herrlins Frau verhört, und sie „bezeuget, dass sie von ihme, Niggel, selbsten gehört, dass er des Bendicht Martins Frauwen in der Sagen gewahrsaget, sie werdind keine Kinder bekomme“.
Das schien den Chorrichtern schon recht unheimlich. Nun sollte auch noch der Schulmeister berichten. Freilich viel Neues wusste er nicht, aber «er heige gehört, und das wüsse er, dass ers gehört, aber so es ihm schon das Läben kosten sollte, wüsse er die Person, von der ers gehört, nit zu nammsen, nemmlich, dass des Jaggi Bürgis von Spins Töchteren ihm, dem Niggel, in der Naht das Gütterlin, so er oben in dem Sack eingenähet gehabt, erwüttschet habind“.
Mit Dank und der inständigen Bitte, Stillschweigen zu bewahren, entliess man die drei Kronzeugen. Die Chorrichter waren einhellig überzeugt: lange durfte man nicht warten. Deshalb wurde diesmal schon auf übernächsten Tag Niggi selbst vor Chorgericht zitiert. Nach der Predigt war «die Ehrbarkeit widerumb versammlet gsin und ist das einte und andere ihme, dem Niggel, fürgehalten worden, welches er anfangs alles hat gelaugnet und weder des einten noch des anderen bekannt sein wollen. Weilen aber er wohl rahtet, dass man seinethalben etwelchen Bericht hat, hat er entlich bekennt, dass er ein Gütterli zu Aarberg vor etwelcher Zeit hat gekaufft; er habe es aber
für ein Dintengütterlin gekaufft, welches sein Bruder Hans daheimen heige.››
Man hielt ihm aber vor, «er habe es selber hin und wider den Leüten ñirgeben, er trage das Gütterlin by ihm, damit, wo er hin und wider in die Häuser komme, ihm nüt Leids widerfahre››, und er habe «auch zu derselben Zeit den Leüten in die Hand geschauet und wahrgesaget>›.
„Nachdem er nun eine Zeit lang gelurgget, ist er entlich beidesen bekantlieh gsin und hat umb Verzeihung gebätten.“ Für diesmal liess man‘s damit bewenden; aber nachdem Niggi abgetreten war, verlangten einige Chorrichter, dass man den Niggel
nochmals vorladen müsse; die Sache scheine ihnen zu ernst; wer weiss, ob da nicht Hexerei dahinter stecke.
So wurde er denn auf die nächste ordentliche Chorgerichtssitzung bestellt, die in zwei Wochen, am 1. Dezember 1700, stattfinden sollte. Vielleicht würde man inzwischen noch mehr vornehmen.
An diesem l. Dezember «ist mehr gedachter Niggli, Schnyder, widerumb erschinnen und des Gütterlins halber weiters zu Red gestellet worden. Er soll nun sagen, von wem er das Gütterlin har heige und was darinnen gsin, und wohin er mit demselben kommen seige?››
Darauf konnte er keinen andern Bescheid geben als «er heige das Gütterlin zu Aarberg auf dem Märit von niemand anders als von einem Gütterlikrämer gekaufft, und es zu keinem anderen End gekaufft, als selbiges für ein Dintengütterlin zu gebrauchen. Er könne den Krämer nicht nammsen.››
«Ob er es nit hin und wider auf den Stören by sich getragen? Und worumb er es by sich getragen, wann er es doch nur fur ein Dintengütterlin gekaufft?››
«Er habe es››, sagte er, «von ihm zu thun vergässen und habe es nur etlich Mahl by sich getragen» «Ob er nit in der Sagi dessentwegen umb des Gütterlins willen seige
befragt worden von dem Bendicht Martin, worumb er das Gütterlin by sich trage?››
«Ja, er habe ihm fürgeben, er trage es by sich, damit ihme in den Häusern nüt Leids widerfahre. Er habe ihme dies gesagt wegen eines Püntelins, darinnen er Broth, Rind en, Gärstenkörner und Salz eingenähet und zu dem End by sich trage. Er heige also von dem Gütterlin das gesagt, was er von dem Pünteli hätte sagen würden. Nun zeuge er vor Gott, dass er in dem Gütterlin nüt gehabt, sonder seige offen gsin und ohne Zäpflin, seige gsin ein Gütterlin mit zweyen Handhäblinen.“
«Ob er nit des Sagers Frauwen in die Händ geschauet und ihren wahrgesagt, sie werde keine Kinder überkommen?››
«Er habe es ihren gesagt, weilen es alle Welt auch von ihren gesagt» «Ob er nit auch dessen ein gleiches gethan gegen Benz Steineggers Frauwen?“
«Er habe auch ihren nüt anders gesagt oder sagen können, als was schon alle Welt von ihren gwusst, dass sie nemmlich schwanger und kein Meidlin mehr seige.››
«Warumb er dann aber›› - und dies war eine recht verfängliche Frage - «die Ehrbarkeit umb Verzeihung gebätten››, wenn er doch behaupten wolle, er hätte nichts Übles getan? «Er heige nit darumb sie umb Verzeihung gebätten, weilen er darmit etwas üble gethan, sonder einfach nur, weilen er solches gesagt; er heige aber nit gemeint, dass es ihrne die Leüt so übel ausdeuten werdind.››
Über diese geschickt ausweichende Antwort zwinkerten sich der Meyer Mülchi und der sonst sehr gestrenge Herr Prädikant verständnisvoll zu, und im Protokoll steht deshalb zum Schluss: «Wellen nun dieses und mehreres nit aus ihm zu bringen gewäsen, hat eine Ehrbarkeit erkennt, dass man hierüber dem Herren Juncker Landvogt Bericht geben solle und von ihrne vernehmmen, ob wir nun weiters procedieren, oder ob man by diser Entschuldigung geruhen solle.››
Heutzutage belächeln wir alle jene, die an Wahrsagerei glaubten oder noch glauben, und wer behaupten wollte, Gespenster gehört oder gesehen zu haben, läuft Gefahr, reif für eine Irrenanstalt erklärt zu werden. Sind wir heute aber wirklich geistig so abgesichert gegen alle sogenannten übersinnlichen Wahrnehmungen?
Ich selbst erinnere mich an eine Frau, die behauptete, ihre Nachbarin verfolge und quäle sie beständig; nachts verwandle sie sich in eine Katze, schlüpfe durchs Schlüsselloch in ihre Wohnung und lasse ihr die ganze Nacht keine Ruhe. Man erlaube mir auch, in diesem Zusammenhange von einer
„Gespenstergeschichte“ zu erzählen, die ich als kleiner Bub selbst auf einer Alp in Grindelwald miterlebte.
«Von Unghiir an der Grindelalp»
Äs ischt im Späätsummer gsyn. Ds Veh ischt uf Widerfäld üüsi gmolchen worden, d”Milch hed mu i ds Grindeloberläger inhitreid; uf Widerfäld syn drum ekeiner Hitti gsyn. Eso ischt ds Oberläger fascht wie üüsgstorbes gsyn. Nummen zween Wärchmanna syn no dert gsyn mit eppa driissg Geissen. Am Aben na dem Mälchen hein die Geiss si zmitts im Läger zwissen den Hitten z'Boden gleid, und am Morgen hei d‘Wärchmanna su gmolchen u den gage ds Schwarzhoren üöhigjagt. Eppa dry Taga hei‘s no Wellen dert im Oberläger blyben, fir den Mischt furtzfierren u ds Hittenderfli z‘putzen. Die andren Älpler hei scho z‘mondrischt Wellen i ds Underläger ahiziglen. Iisi Hitta ischt z'hindrischt im Läger am Wääg gäge d‘Grossscheitegg gstanden. Mier hein Fiirabe gmacht, syn bim Süüfitotzen gsässen, hein bbraten Härdepfla und Niidla znachtet u gmietelli no es Chachelti Gaife trüchen. U wil mer e schwärra Tag hei vor is ghäben, sy mer friej uber ds Gaschterreleiterli üüf i Fax undrem Dach ga schlafen.
Gäg Mitternacht sy mer all ab nem firchterlichen Lärmen erwached. Schybersbodefritz, iisa Mälcher,hed d‘Lantärna aazinted, ischt uber d'Leitra ahi i d'Hitta gschtigen und hed zim Pfeischterli üüsí zinted gägen die Hitta eppa fifzg Meter ob iiserren; de von dert har heimmer es gryslis Poltren gheerd. Äs ischt gsyn, äs wen epper im Mälchhüüs
gross Miselli (Holzspälten), arvigu, tät desumhaschlaan. Derbie heimmer gheerd, dass d‘Geiss allu syn obsi druus gliffen, wie We‘s vom Tyfel gjagt wurden.Churz druufhed mu keis Gleggelli und kei Trychla me gheerd, und o in der obren Hitten hed‘s gschweigged. Mu hed ekeis Liechtelli gsehn, mier hei probierd wyterzschlafen.
Am Morgen hei d‘Wärchmanna d‘Geíss vergäben im Läger gsüecht. Si hei si wyi wüöhi gäge ds Schwarzhoren miessen ga reichen, dert wa der Ruppityfel, d‘Staaehelrnära u d‘Rochelmohra hein ihra Uwäsen triben, wi mu ys Bieblen alben hed erzelld bim Aabesitzen. Aber jetz chund no eppes ganz Bsundrigs: wa d`Wärchrnanna von oben aha gägen di Hitta syn chon, wa's in der Nacht hed gchrisaschted u gschpänschtred, hein iru Geiss pletzelli nimme Wyterwellen, u wa se si hei gjagt, sy‘s vom Wääg abgwichen, was suscht nie ischt vorchon, und hein en grossa Bogen um di Hitta gmacht fir ids Läger inhi z‘gaan.
Natyrli hed mu am Morgen Rothen Uelli, Wa in der Hitten hed gschlafen, gfräägt, was Verflüechts da eigetli syg los gsyn in der Nacht; aber dar hed bhoipted, är heigi niid gheerd u niid gmerkt, Zum Schluss chan inume sägen: d`Wärchmanna hein in eim Tag
gmacht, was hätt sellen dry Taag düüren, u syn no am glychen Aben o i ds Underläger ahizigled.