vom Kiltgang

Kiltgang ist ein recht weitmaschiger Begriff. In einem Chorgerichtsmanual steht geschrieben, dass der Landvogt von Aarberg dem Statthalter Peter Arn in Lyss die Erlaubnis erteilte, seine Kiltstube im grossen Hause aufzutun.

Was bedeutete das?

An langen Winterabenden durften Frauen und Töchter aus befreundeten Familien hier zusammenkommen. Peter Arn, als wohlhabender Bauer, liess die grosse Stube heizen, spendete Öl für die Lampe, so dass die weniger bemittelten nachbarlichen Töchter und Mütter hier in fröhlichem Beisammensein spinnen, stricken, singen und plaudern konnten.

Doch die Tatsache, dass eine Kiltstube zu öffnen vom Landvogt gnädigst erlaubt wurde, deutet Wohl darauf hin, dass dieser vorerst «unschuldige Abesitz» gelegentlich ausartete, besonders, wenn sich übermütige Jungmannschaft hinzugesellte. Es kam dann sogar so weit, dass sich die um das moralische und sittliche Verhalten des Volkes so besorgten «Gnädigen Herren von Bern» veranlasst sahen, die Kiltstuben zu verbieten. So heisst es im Protokoll vom 8, November 1667: «Es ist dem Nigli Berger befolchen worden, dem Bendicht Kuchen anzuzeigen, dass er die kiltstuben in seinem hauss abstelle, oder am ersten Chorgricht darum antwort geben sölle.›› Und am 15. November 1672 wurde verfügt; «Die Kiltstuben angentz abstellen.››

Was nützte es? Wenn man nicht mehr offiziell erlaubt zur Türe hinein «z‘kilt›› gehen durfte, dann kletterte man eben durchs Fenster, was freilich auch nicht immer ohne Folgen geschah, wie folgender Bericht illustriert: <<Mittwochen, den 28. Apr. 1675, in bysin Meyers, Statthalters, Bergers, Becks, Martis, Möris, Weibels, Predicanten, ist dem Hans Schürer, Karrer in der oberen Müli, eine starcke Censur gegeben worden, auch erkent, dass er mit dem HHe. Vogt zu Arberg umb bus abschaffen und 24 stund in gefencknuss gelegt werde, darneben dem Chorgricht 2 pfund für ihre mühe erlegen, darum dass er unlangest by nacht und näbel in dem Wirtshaus durch ein fänster, so er mit gwalt ingestossen, zur magt kommen, da alsbald dess wirts knecht, Bendicht Affolter, der ihn gesechen hininstigen, durch die thüren zu ihm kommen, ihne angegriffen, dem Meister gerufen, ihne, Hansen, müssen lassen gahn, wyl er ihn in die finger gebissen.

Er, der Karrer, hatt zwar fürgewendt, dass er den Mäschel (Rappel) ghan, darum heige er ein Vierteli begären zu trincken; und er heige die Magt zu ehren begärt und umb die Ehe angesprochen; es hatt sich aber weder das eint noch ander befunden: dann (denn) das Meidtli gesagt, dass er es weder umb Wyn, noch umb die Ehe angesprochen heige.››

Dass trotz allem die Kiltstuben nicht ganz verschwanden, erhellt aus folgendem Protokoll vom <<l3. Jenner 1682: Ist widerumb Chorgricht gehalten worden und ist darvor erschinnen Jacob Leiser von Wyngarten, weilen Er nächtliche einzüg haltet und nit besser sorg traget für seine töchter, dass sie dess nachts in ihrer ruh bleibind; auch ist er angeklagt worden, dass won Er von Affolteren etwas truncken heimbgangen, singe, jauchze und schreye; ist dammb emstlich censuriert, zur Ehrbarkeit angemahnet, und umb 10 schilling gestraft worden.››

Dass in dieser Angelegenheit Vater Leiser nicht allein schuldig war, scheint klar, wenn wir gleich das folgende Protokoll beifügen, welches lautet: «Eodem (gleichen Tages) ist vor der Ehrbarkeit (Chorgricht) erschinnen Elsin Leiser, dess Jaggin Leisers tochter,

Weilen sie den in dem vorigen blatt gedachten Gsellen znacht loset und sie einziehet; auch darby anklagt worden, dass, als ihren der Weibel vor Chorgricht botten, sie ihn gefragt mit den trotzigen Worten: ob die Ehrbarkeit allhier etwas kuchingelt (Gelt für den Haushalt) mangle?››

Eine solche freche Unterschiebung wollten die gestrengen Chorrichter natürlich nicht annehmen; sie waren schliesslich unter Eid verpflichtet worden, vorgeschriebene Strafen und Bussen zu fällen. Deshalb heisst es weiter: «Ist darumb ernstlich censuriert und ihren vorgehalten worden, wie gröblich sie hierinnen gefählet, und ist nach einer gegebenen wahrnung und vermahnung umb 1 guldin gestraft worden.››

Der Kiltgang, worunter wir allgemein einen Besuch des Verliebten bei seiner Auserwählten verstehen, war in früheren Zeiten als «Abesitz» gedacht, an dem sich mehrere Personen in einem Privathause zu gemütlichem Beisammensein trafen. Dass dabei «angebändelt›› oder auch «gebrittelt›› wurde, liegt auf der Hand. Der „Kiltgang“ konnte aber auch irgendeiner geschäftlichen Erledigung dienen. Da wollte beispielsweise Elsi Kläntschi bei Durs Schwab im Gräntschel einen Bienenkorb samt Bienenvolk und Honig erstehen. Das geschah im Spätherbst an einem Abend, eben beim Kilt, da die Bienen schliefen. Man wog zu diesem Zwecke den Korb mitsamt den honigsüssen Waben vor dem Hause, um preiseinig zu werden, und wir können uns vorstellen, dass dem Elsi in Erwartung des Genusses köstlicher «Hunggschnitten›› schon im Munde „das Wasser zusammenlief“.

Dann geschah aber plötzlich etwas Unerhörtes; doch lassen wir lieber das Chorgerichtsprotokoll darüber Auskunft geben. Möge der Leser sich dabei Rechenschaft geben über den Unterschied der hygienischen Wohnverhältnisse von damals und heute sowie der strengen <<Bräuche>› des Chorgerichtes. Ob in einer ähnlichen Situation die sprachliche Ausdrucksweise einer heutigen Seeländerin gepflegter, edler klänge als bei Elsi, lasse ich dahingestellt.

Das Protokoll lautet: «Am 27. Octobris 1657 ist auch erschinnen Elsi Kläntschi, des gewäsenen schwynhirts zu Bütigen tochter, welche uffürhalten bekent, dass sie by dem kilt in des Durs Schwabs hus den 18. oct., als sie den Imb gewogen, und Schwab Durses Wyb ham us dem brunzkübel uf es und andere geschüttet, gesagt: sie sölle ihren hundtsstink selbs suffen, der Donder solle sie schiessen, und wenn sie schon der tüfel nemme, er nemme wenig guts.

Darüber war erkennt, wyl es diss mit grossem weinen und reuwen bekent und ihm es leid sige, so sölle sie nit witers gestrafft werden, dann einer Censur unterstehen, den fussfahl thun und den boden küssen, dem herren Vogt umb ein buss und dem Chorgricht umb 10 schilling zuerkent sin, sonst hette sie die gefengknuss wol verdienet.››

Dass die gestrengen Herren Chorrichter samt dem Prädikanten jedoch auch Verständnis aufzubringen vermochten für die Neigungen und Anliegen eines „Romeo“ und seiner «Julia›› auf dem Dorfe, möge folgende Eintragung beweisen: «Den 26. October 1694 ist widerumb Chorgricht gehalten worden wegen des nächtlichen unwäsens,das je länger je mehr unter der Jugend zunimmet, und ist dessent wegen angeklagt worden der Hannss Am, dass Er nächtlicher Weilen in das Wirthshauss zum fänster hinein gestigen und zur magd in die nebenkammeren gangen seige; hat bekennt, dass Er by der magd gsin seige. Er seige aber zur thüren und nit zum fänster hinein kommen, und weilen Ihme das zeügnuss geben worden, dass Er sonst still seige und mit denen übrigen jungen buben keine gemeinschaft heige, ist Ihm nebenst einer Ccnsur 10 schilling zur wahrnung auferlegt worden»

***

Kiltgang in nachbarliche Dörfer war mit besondern Risiken verbunden; Rivalen bei einer «Schönen›› passten einander auf. Deshalb zogen junge Burschen oft selbander oder in Gruppen gemeinsam im Schutze der Nacht aus, um irgendwo einer Begehrenswerten zu «fensterlen››. Wenn”s gut ging, Wurden die Kilter eingelassen und bewirtet; aber sehr oft ging's schief, und das Chorgericht hatte wieder Arbeit, wie der folgende Fall zeigt.

Der Prädikant protokollierte: «Den 7. Aprilis 1693 ist Chorgricht gehalten worden und darvor erschienen: Bäntz Kräuchi von Bütigen und Niclaus Stauffer, weilen sie verzeigt wahren, dass sie nächtlicher weile gan Ottiswyl kommen und umb ihretwillen gross unwäsens allda verführt worden; wahrenss bekannt, dass sie nacher Affoltern zu

dess Statthaltcrss Jungfrauen einer zkilt gahn wollen und geben disen bericht, dass da sie unterwegen nach Affoltern gsin, heigen sie die beiden Jungfrauwen dess Statthalterss gesehen dahar kommen und by ihnen 5 gsellen, nammlich Hannss Dick, Hannss Aesch, Michel Affolter, Rudin Roth und Niglin Dantz. Sie heigen sich auf die seiten gemacht in Inschlag (Wald), bis sie fürüber gsin, hernach bis gan Ottiswyl nachgefolget, da die Meidlin und knaben in dess Bangerterss oberen hauss zusamen kommen, und seigen einer von dess Bangerterss knächten hinausskommen, der sie freündtlich empfangen, und alss sie ihn gefragt, wer die übrigen in der stuben seigend, heige erss ihnen angezeigt. Kurtz darauf, alss die drinnen ihrer beiden haussen

seigend gewahr worden, seigend sie all und noch mit ihnen Jaggin Köng, Hannss Bangerterss anderer knächt, hinauss kommen, über sie gerathen und heigend sie geschlagen. Also wurden demnach die übrigen Meidlin und knaben dessenthalben zu red gestellt und befragt, ob sie dessen bekantlich sein Wollen; und Weilen sie allerseitss dess nächtlichen geläufs bekannt sein müssen, der schlägerey halber nit

geständig sein wollen, also ist Jeglicher, sowohl Mann- als Weibspersohnen, umb dess nächtlichen umbharschweiifenss willen ein pfund auferlegt, aussgenohmmen dess einten knächt dess Bangerterss , alss der an seinem ort gsin, 10 schilling auferlegt. Ess sollend aber auch die von Affoltern, alss die von ihrem Herren predikanten das zeügnuss haben, dass sie auserläsene Nachtvögell seigend, jeglicher mit der gfangenschafft abgestraffet werden, und ist Hannss Dick, Weilen er kurzumb nit erschienen wollen und dan dem Weibell unterwägen begägnet, dass er zum Herren Landtvogt, dahin die sach allein gehöre: ist erkennt worden, dass man ihn by dem Herren Landtvogt verleide (anklage), und dass er ihne zur gebühr halten wolle»

Die Frage wird auftauchen, wieso das Chorgericht von Lyss befugt war, die Burschen und Mädchen von Grossaffoltern zu bestrafen und den Burschen sogar „Kefı“ aufzubrummen? Grossaffoltern gehörte doch nie zur Kirchgemeinde Lyss; doch der nächtliche Radau geschah in Ottiswil, das Lyss kirchhörig war. Wir erinnern auch daran, dass der Weg von Weingarten hinunter gegen den jetzigen Scheibenstand im Winigraben, Richtung Lyss, früher <<Kirchgasse›› genannt wurde. Das „Verbrechen“ geschah, juristisch gesehen, auf Lysser Hoheitsgebiet und musste deshalb vom Lysser Chorgericht geahndet werden

Am 26. Oktober 1694 hatten die Chorherren Wieder mit Kiltern zu tun. Im Wirtshaus zu Lyss war offenbar eine Magd, die gewissen jungen Burschen keine Ruhe liess, so dass die Wirtin selbst einschreiten und beim Chorgericht klagen musste. Doch lassen wir das Protokoll sprechen: «Es haben sich vor Chorgricht versprächen müssen

Hannss Am, dess Weibels sohn, und Bäntz Steinegger, dess Hannss Steineggers sohn; sind von der Wirtin Verzeigt worden, dass Er, Hansslin, nächtlicher weil ihren zum feinster hinein in das neüwe stüblin gestiegen, dem sie ein züberlin Voll Wasser über den kopf geschüttet; und seige der Bentz Steinegger voraussen bliben, der greülich gefluchet und geschworen heige. Weilen sie nun aber gelaugnet, entlich der Hannsslin bekannt sein müssen, dass Er hinein gestigen, und seige vor dem hauss nit der Bentz, sonder der Caspar Herrlin, Hannsen Sohn, gsin; haben aber niemand anders anzeigen wollen; also ist erkennt worden, man solle uf Sontag ihnen widerumb gebieten, und dass man den Wirth selbsten verhöre.››

Recht schwierig und Voller Ungereimtheiten gestalteten sich die Verhandlungen über folgenden „Kiltgang“.

In dem Bauernhof am Siechenbach trafen sich offenbar seit einiger Zeit junge Burschen. Kamen sie dort zusammen, um dem streng verbotenen Kartenspiel zu frönen? Oder waren da auch heiratslustige oder doch Wenigstens heiratsfähige Mädchen im Spiel? Nach Chorgerichtsprotokoll stehen folgende Tatsachen fest; «Am

8. Dec. 1734 sind auch Hans Moser von Lyss, Jaggin und Hans Bürgi von Spins und des Haussmanns Sohn im Siechenbach vor unserem Chorgericht erschinnen. ..››

Das Wörtlein «auch›› verrät, dass jemand anders schon vorher einvernommen wurde. Tatsächlich heisst es im Protokoll vom 21. Januar 1735, dass «obige 4 verzeichneten knaben widerum vor unsere Ehrbarkeit citirt worden›>, jedoch «nochrnahlen nichts bekennen und gestehen wollen, wessen sie im vorigen blatt angeklagt und beschuldiget worden, ungeacht des Herm Grichtschreiber Tschiffelis Sohn vor dem Herren Landvogt zu Arberg solcher Thaten geständig gewesen und bekantnus dorten gethan...“_

Welcher «Thaten›› War der junge Tschiffeli geständig? Er habe mit den genannten Burschen im Siechenbach Karten gespielt; später seien sie einig geworden, zu den Mägden in ihre Kammer zu steigen. Die Mägde jedoch wollten sie nicht hineinlassen; das habe sie wütend gemacht und auf folgenden Racheakt gebracht: sie seien über eine Leiter gewaltsam durchs Fenster in das Mägdezimmer gestiegen und «habind die Mägde mit Kienruss und Karrensalb geschmiert und geprämet››.

Dies geschah in der Nacht vom 6. November 1734. Aber erst einen vollen Monat später, am 8. Dezember 1734, kam die Angelegenheit vor Chorgericht. Wer war Ankläger? Darüber Vernehmen wir nichts. Es heisst nur, vor Chorgericht habe «man darmit viel zeit Zugebracht, sie (die 4 Burschen) zur bekantnus zu vermögen (zu bringen), weil kundschafft vorhanden››, sie aber hätten «hartnäckig auf der vemeinung verharret››.

War dem Chorgericht diese <<kundschafft››, d.h. dieser Zeuge, nicht ganz geheuer? Wollte dieser Zeuge aus bestimmten Gründen nicht offen zu seiner Aussage stehen? Warum musste nicht Tschiffeli selbst vor Chorgericht in Lyss aussagen, da doch nach bisherigen Rechtsgrundsätzen Schuldbare vor jenem Chorgericht zu erscheinen hatten, auf dessen Gebiet die strafwürdige Tat begangen Wurde? Genoss

Tschiffeli als Spross einer Patrizierfamilie in dieser Hinsicht ein ungeschriebenes Vorrecht? Hatte Tschiffeli aus besondem Gründen nicht alle Beteiligten genannt? Warum gaben die 4 Angeklagten selber nicht die wahren Schuldigen bekannt, da sie doch hartnäckig ihre eigene Unschuld beteuerten?

Das Chorgericht Lyss sah sich ausserstande, ein Urteil zu fällen und entschied, das Geschäft über die «im Siechenbach vielfaltig verübten bubenstucken» an den Herrn Landvogt zu überweisen.

Im Protokoll vom 8. Dez. 1734 heisst es denn auch: «ist dies geschäfft vor den Herren Landvogt geschlagen und gewiesen worden. Weil er damals nicht anheimisch, sondern zu Bern gewesen und darauf die 6. Cornmunion und weinachtzeiten erfolget, hat man dis geschäfft über das neüe Jahr aufschieben müssen.››

Endlich am 21. Januar 1735 war es denn so weit. Man erwartete in Lyss wohl allgemein, dass der Landvogt sich anerbiete, bei einer nächsten Chorgerichtssitzung persönlich anwesend zu sein oder dann wenigstens die 4 Delinquenten nach Aarberg zu zitieren, um sie dort mit dem Zeugen Tschiffeli zu konfrontieren und entsprechend

abzuurteilen. Aber nichts von alledem geschah. Der Landvogt liess nur melden, das Chorgericht in Lyss solle die 4 Burschen als «thäter dieser losen bubenstucken jeglichem zur straff und künfftiger wahrnung ein pfund auferlegen››, trotzdem sie hartnäckig die Mittäterschaft verneinten. Man solle sie nur erst dann als unschuldig erklären, wenn sie nachweisen können, «dass sie nicht selber dieser losen

bubenstucken thäter gewesen» Wer oder was steckte dahinter?

Bekanntlich gibt es immer wieder sogenannte Aussenseiter der Gesellschaft. Man kennt sie auf allen Stufen: ein einziger solcher verursacht in der Schulklasse, im Ferienlager, in der militärischen Formation besonders auch in einer Gemeinde allen leitenden Kräften und Vorgesetzten Behörden zeitraubendes und aufreibendes Mühsal.

Ein solcher Aussenseiter war Niggi Leib, den wir später auch als Niggi Lyb in einem dubiosen Vaterschaftsprozess antreffen. Doch was war sein erstes Vergehen? lm Protokoll heisst es: «Sonntag, den 10. February 1765 ist von E_E. (Chorgericht) angezeigt worden, dass der Niggi Leib in dieser Wochen zu nacht um 1 Uhr in dem Siechenbach nächtliches Unwesen angefangen und dort dem Christen Kräüchi die Fenster eingeschlagen und von demselben in der That selbst angegriffen worden; der andere aber, so noch beyihme gewesen, nicht seye gekant worden. Ist daher erkent worden, diesen Niggi Leib wegen dieser nächtlichen Unfueg auf nächstkönfftigen

Sontag vor E.E. zu beschicken.›› Wer war dieser «andere aber, so noch bey ihme gewesen“?

Darüber berichtet das folgende Protokoll: „Sontag, den l7. Hornung ist auf vorhergehende Citation der Leib Niggi vor E.E. erschinnen, hat auch gestanden, dass er in derselben Nacht in dem Siechenbach die nächtliche Unfueg verursachet, dass er einen ledigen Kerl von Messen dorthin habe zu Kilt führen sollen, der ihn zu Arberg

darfür angesprochen und ihm den Lohn darfür gegeben. Ist darauf mit mehreren Stimmen erkent worden, dass derselbige für einen halben Thaler solle gebüsset und ihme eine scharfe Censur gegeben werden. Aber wegen plötzlich ausgebrochenem Feuer in dem hinter der Kirchen gelegenen Stock des Johannes Bürgi ist das

Chorgericht aufgehoben worden.“

Vorerst fällt auf, dass das Urteil nur mit «mehreren Stimmen››, also nicht einhellig ausgesprochen wurde. Fanden einige Chorrichter vielleicht, dem Unbekannten aus Messen gehöre ebensogut ein Denkzettel? Doch der plötzliche Feueralarm verhinderte die Chorrichter, genauere Angaben über «den ledigen Kerl von Messen» ausfindig zu machen. Warum wollte dieser Bursche aus Messen ausgerechnet in den Siechenbach «z'kilt›› gehen? Wir können es uns nur so erklären: Im Bernbiet war das Tanzen damals streng verboten, im solothurnischen Nachbardorf Messen jedoch nicht. Was Wunder, wenn unsere jungen Leute dorthin zogen? So ist‘s wohl möglich, dass eine junge Hübsche aus dem Siechenbach auf dem Tanzboden in Messen mit dem erwähnten «ledigen Kerl» Bekanntschaft machte und ihm auch verriet, Wo er sie finden könnte.

Ein Glück für diese Hübsche, dass plötzlich Während der Chorgerichtssitzung Feuer ausbrach; denn sonst wäre vielleicht auch ihr Abstecher zum Tanz nach Messen entdeckt und sie dafür gebüsst worden, wie in andern Fällen schon geschah. Ein Glück auch für den «ledigen Kerl» aus Messen; denn sonst wäre wohl auch er beim

Wickel genommen worden. Freilich hätte dies langwierige Schreibereien zwischen bernischen und solothurnischen Instanzen bedingt, und so waren die Chorrichter wohl dem Ausbruch des Feuers dankbar, dass ihnen dadurch diese peinliche Sache erspart blieb.

Am Sonntag, den 24. Hornung, also eine Woche später, beschloss das Chorgericht, «dass nun dem Niggi Leib seine Censur (Strafpredigt) in dem Pfrundhaus gegeben werde, Weil dieselbe vor 8 Tagen wegen der damahls entstandenen Brunst vor E.E. nicht konte gegeben werden››.

War Niggi Leib mit dieser einseitigen Strafmassnahme einverstanden? Darüber orientiert uns das folgende Protokoll: „Sontag, den 3. Marty zeigte ich vor E.E. an, dass ich in dieser Wochen, namlich an dem Donstag den 28. February am Morgen den Niggi Leib zu mir in das Pfrundhaus beschickt, ihme den Zuspruch gegeben und zur Besserung vermahnt, welches derselbe zwahr versprochen, doch aber mit trotzigen Worten mir gesagt habe, dass er die ihme auferlegte Buss nicht bezahlen Wolle; ist daher seinetwegen erkent worden, dass, wan sie derselbe dem Chorweibel nicht alsobald entrichten werde, wan er sie ihm abfordere, er ohne Anstand MnHHerren Landvogt zu Arberg solle verleidet werden.››

Also musste nun der Weibel auf die Socken; aber schon am Sonntag, den „10. Marty hat auch der Weibel angezeigt, dass der Leib Niggi die auferlegte Buss zu bezahlen sich geweygeret und gesagt habe, dass er nichts geben wolle››. Deshalb wurde die ganze Angelegenheit ohne Aufschub dem Landvogt zur Erledigung überbunden. Der Weibel, der diesen Botengang tun musste, kam aus Aarberg mit der Meldung zurück, der Landvogt habe verfügt, «dass Niggi Leib wegen Weigerung, die auferlegte Buss zu bezahlen, in die Gefangenschaft solte geführet werden“,

Das erweckte das Mitleid des Prädikanten, und er liess dem Niggi Leib durch den Weibel mitteilen, wenn er umgehend zu ihm komme, um Verzeihung bitte und die Buss bezahle, wolle er beim Landvogt ein gutes Wort für ihn einlegen, damit er nicht in die „Kefi“ gehen müsse. Woche um Woche verging, schon ein ganzer Monat war verstrichen, und kein Niggi Leib zeigte sich im Pfrundhaus. Endlich am 20. April, an einem Samstag, klopfte Niggi an der Türe des Prädikanten, doch nicht, um Verzeihung zu bitten oder den halben Taler zu bezahlen, sondern nur, weil man ihm befohlen habe, ins Pfrundhaus zu kommen.

Damit war auch die Langmut des Prädikanten dahin. Am Sonntag, den 21. April teilte er dem Chorgericht alles mit, und im Protokoll heisst es: «so habe ich ihm gesagt, dass ich nichts für ihn anhalten werde und also der Weibel nach seinem Befehl fortfahren solle.››

Wie endete schliesslich diese Kiltganggeschichte? Darüber gibt das Protokoll vom 28. April Auskunft. Wir lesen: «Sontag, den 28. April hat der Weibel auch gesagt, dass der Leib Niggi vergangenen Montag von selbst zu MnHHerren Landvogt gegangen und mit der Gefangenschaft seye gestrafft und auch um Gelt gebüsset worden. Diese Buss

des Leib Niggi, bestehend in 2 Pfund, habe ich den 5. May vor E.E. dem Weibel gegeben, da MnHHr. Landvogt mir selbige in der vorhergehenden Wochen zu Handen E.E. Chorgerichtes übergeben hat.››

Samstag abend. Peterli zog seine neuen Halbleinhosen an; sein Mueti legte ihm selbst ein frisches Hemd mit gestärktem Kragen aufs Bett.

<<Schau, da hast ein neues ,Lätschli”.››

<<Ja, Mueti.››

«Hast die Schuhe gesalbt?››

«Ja, Mueti.››

«Der Wollhut ist staubig, bürste ihn dann noch!››

«Ja, Mueti.›>

Und als endlich Peterli marschbereit vor seinem Mueti stand, sah es ihn mit sichtlichem Mutterstolz an. Er war schön schlank, kein so Kraftprotz wie andere «Prügel›› im Dorfe. Er hatte lange Haare bis auf die Schultem, wie es nun Mode War bei jungen Herren, die aus der Fremde heimkamen; und die Haare waren sauber; Peterli hatte keine Läuse wie andere Langhaarige, die zu faul sind, ihre Haare zu pflegen.

<<So, und nun mach”s gut! Sei nett zu Annelin und sag ihm, ich lasse es schön grüssen.››

«Ja, Mueti.>›

«Und gib ihm zu merken, wir hätten keine Schulden mehr auf unserem Hofe»

<<Ja, Mueti.››

Und damit zog Peterli, der einzige Sohn, ein richtiges Muttersöhnchen, von «Wieretzwyll››, wie es im Protokoll heisst, Richtung Lyss.

An der letzten Kilbe in Messen hatte er Annelin Mülchi aus Lyss kennengelernt und War gleich vernarrt in es. Daheim erzählte er davon, und die Mutter wusste ihm gleich zu sagen, das wäre <<etwas››!

Anneli sei nämlich die Tochter des Chorgerichtsmeyers von Lyss, die jüngste von drei Töchtern; die zwei älteren seien schon verheiratet, und wer Anneli bekomme, der könnte wohl einmal den Hof übernehmen.

In solchen Gedanken vertieft kam Peterli vor Meyer Mülchis Haus. Ein schönes Haus War”s, mit vielen Fenstern, und vor den Fenstern ein breiter Laden mit einigen Bienenkörben. Gleich stellte er fest, welches Fenster zu Annelins Kammer gehörte, und... doch lassen wir nun das Protokoll der Chorgerichtssitzung vom 12. Juni 1696

weiter erzählen: «Gleichen tags ist erschinnen Peter Schori mit zustand seines Vatterss von Wieretzwyll, der der Ehrbarkeit (Chorgericht) gebührend angebracht, wie Er vergangenen Sontag abendss vor Meyer Mülchís hauss, da Er zu seiner tochter fir (vor) dass fänster wollen, von etlichen hiesiger knaben angegriffen und übell tractiert

worden seige, also, dass Er vom Sontag biss auf heüt Freitag in der leistung (Verband) ligen müssen: der sach verlauff siege also: es seigend anfangss vor dem fänster zween Junge knaben zu ihm kommen, die in liebe und freündtligkeit mit Ihm geredt uncl denen Er dessentwegen nüt übellss getrauwetz sie seigen auch in friden von ihm

gangen; gleich darnach seigend etliche Junge gsellen gelauffen kommen, darvon zween auf den laden zu ihm vor das feinster gsässen, und heige der Einte mit einem spahn byene (Bienen) ihm auf die hosen geschüttet; und da Er sie mit der hand abgewüseht, andere in das haar geworfen. Als Er nun gesehen, dass sie unglück suchind, seige Er dem Meyer vor das fänster gangen und heige Ihm angehalten, dass Er ihn hinein inss hauss lassen Wolle, Welches ihm der Meyer abgeschlagen.

Er heige niemand für dismahlen über nacht. Daraufhin seige einer von denen gsellen kommen, heige ihm den hut ab dem kopf genohmmen, und da Er dern hut nachgehen wollen , heigend sie ihne by den haaren genohmmen und ihn im Koth lang herumb gezogen, überall geschlagen, dass Er Wirth und Scharer bedürftig gsin seige. Alss man nun begährt, dass Er die gsellen bekant machen und offenbahren wolle, hat Er den Caspar Herrli und den Rudin Am der Ehrbarkeit verzeigt, welche, da man sie zur red dessentwegen gestellet, bekantlich gsin sind; nammlich, so Wahre Caspar Herrli bekannt, dass Er und Bentz Bangerter, dess Oberen Müllerss Sohn, ihn angegriffen und geschlagen; Er heige ihnen aber aussgebotten (verspottet) , Ess sollind von ihnen nur zween kommen; ab zweyen thüie Er nüt (fürchte er sich nicht). Daraufhin heigen sie ihn geschlagen; und heige sonst niemand alss sie beide hand an ihn gelegt.

Daraufhin ist einer nach dem anderen examiniert worden,nammlich Hannss Schneider, welcher bekantlich wahre, dass Er darby gsin aber kein hand angelegt. Steffan Möri bekannte ein gleiches. Bentz Bangerter Wahre der Schlegerey bekantlich. Hannssli Herrli bekennte, dass Er den anderen herzugeruffen, seige aber by der schlegerey nit gsin, sonder, nachdem Erss denen knaben angezeigt, dass ein frembder im dorf seige, und sie hingangen, seíge Er seines wägss heimbgegangen. Clauss Kuchen wahre nit erschinnen.

Als sich nun die Ehrbarkeit der schlägerey halber nichtss angenommen (das war Sache des weltlichen Gerichtes), sonder umb dess Sabbathbruchss (Sabbathentheiligung) Willen bedänken getragen, ist erkent worden, dass Jeder, aussgenohmmen die zween letsten, 1 gulden zur straff und wahrnung der Ehrbarkeit erlegen wolle; die zween letsten aber Jeder 1 pfund. Dise buss ist alle vom Weibell eingezogen worden biss an den Kuchen, der absens Wahre»