Sichlete mit Folgen
Rudi Ris, der junge Bauer, war zufrieden, sehr zufrieden: Seit vielen Tagen überaus günstiges Sommerwetter, die Ernte in vollem Gang, die Ähren prall, seine Leute an der Arbeit wie „lätz“. Er hatte ihnen versprochen, wenn sie bis Samstag die letzten Garben «am Schermen» hätten, würden sie eine Sichleten erleben wie noch nie. Und sie schafften es. Vater Daniel Ris, alt Chorgerichtsmeyer, hielt dafür, dass der Tag des Herrn nicht mit Prassen entheiligt werde; so setzte man sich denn am Samstagnachmittag, nachdem das letzte Fuder unter Dach war, zu dem üblichen Sichletenmahl, woran natürlich neben den Familienangehörigen sämtliche Hilfskräfte teilnahmen.
Zuerst gab's Schafsvoressen an einer feinen Safransosse. Für den Durst war reichlich gesorgt; aus dem Wirtshaus nebenan, da wo heute die alte Gemeindeschreiberei steht, hatte man einige Mass Wein holen lassen. Nach dem Voressen wurde Schinken aufgetragen mit frischen Bohnen und Kartoffeln. Ein Berg goldbraun gebackener, herrlich duftender Züpfen regte zusätzlich den Appetit an, dass die Kehlen an diesem heissen Sommertag immer durstiger wurden. Hans, Rudis Bruder, musste Nachschub aus dem Wirtshaus holen. Die Stimmung wuchs, und man hörte eine Lachsalve nach der andern. Worüber denn?
Hans erzählte, eben lumpe schon wieder der Helblig von Busswil drüben im Wirtshaus und habe so runde Absätze, dass er kaum mehr stehen könne; aber er habe diesmal wenigstens das Maul gehalten. Letzthin sei er auch besoffen dort gewesen und habe ihn herausgefordert: «er habe ihn verspotten, als wenn er nit so fräffen were, dass er ihn schlachen dörffte, deswegen er sich nit überhan mögen und ihm ein Gelten mit Wyn an den Grind geschlagen»
«Ja, den könnte man mit Hans Steiner, dem Seiler, zusammenspannen›>, meinte Niggi Arn, «der hat sich an einem Tag solchermassen mit Wyn angefullet, dass er gebrühlet wie ein Ochs.››
«Wenn”s diesen nur so gienge wie letzthin dem Jacob Furer von Busswil››, meinte Benz Möri, «der heige der neüwen Wirthin ein Maass Wyn gelaugnet und sie nit bezahlen wollen; aber da sei er an die lätze gerathen. Sie habe ihm ein Multäschen gegeben, dass er ab dem Stuhl gefallen seige wie ein voller Maltersack, und dann habe sie ihn an den Beinen für die Stubenthür hinuszogen.››
Sie habe sich zwischen seine Beine gestellt, diese unter ihre Arme geklemmt wie «Landele vo me ne Zwöirederchare» und den Völlerich quer durch die Gaststube geschleift, mit hocherhobenem Knie auf die Falle drückend die Türe geöffnet und ihn dann über die hohe Schwelle hinausgerupft, dass sein Schädel polterte wie eine Kegelkugel bei einem „Babi“ im Ries.
Dass man ausgerechnet Episoden mit Trunkenbolden zum besten gab, scheint nicht von ungefähr gekommen zu sein, denn unter dem Datum vom 21. Juli 1671 lesen wir im Chorgerichtsmanual: «Rudi Ris, der unlangest an einem Sonntag zmorgen umb die halbe sibne im Hembd für das Haus hinusgangen, sin Wasser abgeschlagen, darnach
nidergehuret, sin Nothturft gethan, in das Thenn hinin gestigen und widerumb hinusgestigen, in das Haus gegangen, worüber dahar gemutmasset, dass er am Abend spat die Sichleten ghan und also den Wyn noch nit vertäüwet, soll zuhanden dem Chorgericht 5 Schilling geben; hat auch sin Censur empfangen.››