Soldaten geworben
Am 14. Februar 1673 erschien vor Chorgericht in Lyss «Jonas Schnider von Nydouw, welcher beschuldiget war, dass er vor etwas zyts, do man Soldaten geworben, er etliche an einem Sontag auf die Fenchern brüft (bestellt), auch gseit, dass man dahin Wyn bringen werde››. Er habe auch zugegeben, «dass man alda gespielt und gedantzet habe››. Desgleichen sei «auch erschinnen››, heisst es weiter, «der Bendicht Dasen, der Trommelschlager von Gerelfingen, Welcher auch bekent, dass er am selben Sonntag uf der Fenchern gsin››. Zum Schluss heisst es einfach: «sind scharpf censuriert worden wegen der entheiligung des Sabbaths»
Bei kritischer Durchsicht dieses Protokolls fällt die erstaunliche Tatsache auf, dass die kirchliche Instanz, das damalige Chorgericht, nicht etwa die Werbung von Söldnern an sich, sondern einzig die Sonntagsentheiligung bestrafte. Die beiden Delinquenten mussten zusammen 6 Pfund Busse entrichten, welche die Chorrichter unter sich verteilten, und damit war der ganze Handel erledigt.
Wie ist das zu erklären? In der Reformation war es ja gerade Zwinglis und seiner Gesinnungsgenossen Ziel, das Reislaufen in der Eidgenossenschaft zu verbieten und auszurotten. Während längerer Zeit hatten denn auch Zürich und Bern mit Frankreich keine Soldverträge mehr abgeschlossen. Doch dieser Anlauf tugendhaften Verhaltens hielt den klingenden französischen Verlockungen nur bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts stand, und im 17. Jahrhundert, genauer gesagt 1663, war es so weit, dass die 13örtige Eidgenossenschaft eine Delegation mit Bürgermeister Waser aus Zürich an der Spitze zu Ludwig XIV. nach Paris schickte, um dort in feierlicher Weise mit dem Sonnenkönig einen Vertrag abzuschliessen, wonach die Eidgenossen, sofern sie selber nicht in einen Krieg verwickelt wären, 20‘000 bis 30‘000 Mann stellen sollten, selbstverständlich gegen beträchtliche Jahrgelder.
Wolfgang Fr. von Mülinen erzählt darüber, dass Mitte Oktober 1663 folgende Vertreter des Standes Bern abreisten: Schultheiss Anton von Graffenried, Venner Bucher und ihre beiden Söhne, ferner Jakob Tillier, Emanuel Steiger, Anton May, Daniel Lerber, Jakob Wyttenbach und andere mehr. Von der Grenze an reisten sie auf Königs Kosten. Am 9. November erreichten sie Paris. Wörtlich heisst es weiter: «Beim Einzug ritten Edelleute des Königs voran, die zum Empfang entgegengekommen waren, dann folgten die Gesandten, der Bürgermeister Waser von Zürich, neben ihm der Botschafter de la Barde und dem Range der Orte nach die übrigen, jedem zur Seite
ein französischer Edelmann. In Vincennes wurde ein grosses Mahl genommen, bei dem auf den König und seine Familie und wieder auf die eidgenössischen Stände toastiert wurde. Auf dem weitern Marsch erschien zur Bewillkommnung der Gouverneur von Paris mit vielem Gefolge, darnach der Prevot des Marchands (Bürgermeister von Paris) mit Schöffen. Unter dem Donner der Kanonen, umgeben
von der grössten Menschenmasse, kam man abends schon bei Lichterschein im Stadtteil an, der zum Quartier der Gesandten bestimmt war. Die Berner wohnten im Faubourg St-Germain.“
In den folgenden Tagen ging es nicht minder feierlich zu. Am 11. November gab‘s eine Audienz beim König und seiner Familie im Louvre. «Es folgten Bankette und Einladungen beim Herzog von Orleans, dem grossen Prinzen von Condé, bei den Ministern Louvois und Colbert, bei dem Marschall Turenne. Ein anderer der grossen
Herren, der Marschall von Gramont, unterhielt sie durch eine Komödie, die Molière spielte.››
Schliesslich am 18. November 1663 wurde der Bund beschworen. Von Mülinen schreibt: „Die Feierlichkeit wurde durch Gottesdienst eröffnet, dem die Evangelischen, so lange die Messe währte, nicht beiwohnten. Dann ergriff der Botschafter de la Barde zum Lobe der Eidgenossen das Wort, nach ihm der Bürgermeister Waser, worauf
der König antwortete. Nun legte ein Kardinal das Evangelienbuch vor, auf das jeder Gesandte und zuletzt der König zum Zeichen des Schwurs die Hand legte. Ein Te Deum beschloss die Feier. Im erzbischöflichen Palast fand noch ein Mahl statt, zu dessen Ende der Hof erschien und der König ein Hoch auf die Bundesgenossen ausbrachte. Zwei Tage darauf, nachdem sie noch einer Parade beigewohnt, reisten die Gesandten reich beschenkt wieder nach Hause»
Heute schliesst die Eidgenossenschaft mit fremden Staaten Verträge ab, wobei es um Absatz von Käse, Uhren und Maschinen geht. Damals versprach man, «lebende›› Ware zu liefern, und man musste deshalb einen richtigen Werbedienst organisieren, wobei Wein, Musik und Tanzvergnügen als Lockmittel dienten. Die Werber mussten
sich einzig davor hüten, das traurige Spiel nicht an Sonntagen zu treiben, eben wegen der Sonntagsentheiligung!! Alles andere war geduldet und in Ordnung, denn so wollten es die gnädigen Herren. Sie selber anerboten sich in vorderster Linie, in fremden Kriegsdienst zu treten; denn durch ihre Ausbildung und Beziehung gelangte mancher zu hohen Ehren. Unter den Hauptleuten, Majoren und Obersten der damaligen französischen Armee finden wir denn bekannte Namen wie: May, de Graffenried, von Wattenwyl, Stürler, Tscharner, Tillier, Manuel, von Erlach, Willading, von Bonstetten usw.
Durch die vielen Kriegszüge Ludwigs XIV. in ganz Westeuropa kam es vor, dass Eidgenossen auch in Holland und Sardinien im Kampfe standen und auch starben. Darüber geben die «Rödel verstorbener Soldaten in fremden Kriegsdiensten» im Staatsarchiv zu Bern Auskunft. Der Blutzoll der Schweiz war nicht gering; einzig im
Verzeichnis von 1701 bis 1761 fand ich folgende Opfer aus dem Seeland:
Soldaten Lyss 1
Soldaten Lyss 2
Soldaten Lyss 3
Nur spärliche Angaben über genauen Ort und die Art des Todes dieser Soldaten stehen in den Rödeln. Da heisst es etwa: «getötet in Münster››, oder «getötet in Alexandria››. Bei vielen andern mögen Krankheiten Todesursache gewesen sein. Und von den vielen Tausenden kamen sicher auch etliche wieder heim, wie beispielsweise
Samuel Bürgi aus Lyss, von dem im Chorgerichtsmanual unter dem 6. Januar 1743 zu lesen ist: «Da wurd nöthig erkennt, dass dem aus dem Niederland heimkommenen Samuel Bürgin ein Schreiben gemacht werde, auf dass er in Insul (Inselspital Bern) kommen möchte, seinen ausgefallenen Arm völlig genäsen zu lassen.“
Ich selber habe als Knabe das Schwert eines aus holländischen Kriegsdiensten heimgekehrten Grindelwaldners dazu benützt, Grasschollen auszuheben, um Mäusefallen setzen zu können.
Zur Zeit des Ausbruchs der Fanzösischen Revolution standen rund 14‘000 Schweizer in französischen Diensten. Am 10. August 1792 verteidigte eine 800 Mann starke eidgenössische Leibwache des Königs das Tuilerienschloss in Paris gegen die wütende Volksmasse. An die 550 Soldaten und 25 Offiziere wurden niedergemetzelt.