vom Dantzen

Die «gnädigen Herren›› in Bern, das rnuss man anerkennen, versuchten unablässig und mit wohlgemeinter Strenge das Volk vor sittlichem Zerfall zu schützen. Die vielen Kriege vor und nach Beginn der Reformation und vor allem das Söldnerunwesen verursachten eine Verrohung der Sitten, die sich beispielsweise in den Tanzformen

dermassen äusserte, dass vergleichsweise die gewagtesten modernen Tänze oder ein französischer <<Cancan›› dagegen als unschuldiges Kinderspielchen erscheinen.

Aus dieser Sicht muss man wohl das Tanzverbot verstehen, das auszugsweise so lautet: «Wann ouch das mutwillige lychtfertige Dantzen under denen Lasteren nit das geringste ist, so verbieten wir hiemit uff ein nüws (von neuem) von hochstes ernsts, dass man weder uff Hochzyten,vor, an oder nach denselben, es sye Fümemmen, Hocher oder niderer Standtspersohnen, was Würde und Wäsens die immer syn mögent, niemandt ussgenommen, noch zu eintchen anderen zyten inne oder usserhalb den Stetten, in was Hüseren, Orten und enden das sye, weder offentlich noch heimlich, tags oder nachts clantze.›› Und den Chorrichtern schärfte man ein, «daruff alles yffers und ernsts zeachien, und im fahl übertrettens von dem Brütigam, wie ouch denen, die den Däntzeren statt und platz geben, die obbemelte buss

(20 Pfund) zubezüchen, und die Spillüth mit drytägiger und nächtlicher gfangenschafft zestraffen, damit disers üppiges wäsen, so wyt müglich, abgeschafft werde››.

Für die Landschaft liess man immerhin eine etwas mildere Strafordnung gelten; es heisst da: «Uff dem Land aber in Stetten, Flecken, Dörfferen und anderen orten unsers Gebiets lassend wir es by der alten Ordnung blyben, namlich, dass von einer jeden Manspersohn ein gulden, unnd einer Wybspersohn ein halben guldin, so an, vor oder

nach dem Hochzyt dantzen werdend, zu rechter buss bezogen werden sölle.››

In einem Nachsatz heisst es noch: «Von denjenigen ouch, die sich an heimlichen und winckeltäntzen wurdind finden lassen, soll ein glyche buss bezogen werden. Neben diser bestimbten Geltbuss aber behaltend wir uns vor, den übeıträtteren nach gstalt der sachen höchere ungnad und straff widerfahren zelassen.››

Wir fragen uns: wie wirkte sich dieses Verbot aus? Die Chorrichter standen unter eidlicher Verpflichtung im Amte, und - das ist nicht nebensächlich - die Bussengelder flossen teilweise in ihre Taschen, der Landvogt War besonderer Nutzniesser. So entstanden wohl «Gerichtsentscheide›>, die wir heute kaum mehr verstehen, ja, gutheissen können. Einige Beispiele mögen das illustrieren. «Elsi Möri ist yezund zum andermal von tanzens wegen bschickt worden und lougnet nochmalen. Bendicht Düby, der Gyger, ist bkantlich, dass er z”tanz gyget, habe aber niemand gsechen tanzen dann den Kröüchi Schnyder mit des Weibels tochter, und hatt niemand vwtter wöllen angän; ist darum in die gfangenschaíft gen Arberg erkennt worden, sol 1 pfund Chorkosten erlegen und darnach mit dem Vogt umb die buss abschaffen»

Hiezu noch folgende kurze Erläuterung: man unterschied zwischen <<Chorkosten›>, die den Chorrichtern gutgeschrieben wurden, und der <<Busse››, die der Landvogt einsackte.

Sonntag, den 8. August 1647 strafte man folgendermassen: «Von tanzens wegen im Gräntschel Bendicht Düby, der Gyger 1 Pfund kosten, Bendicht Weibel 10 schilling, Bendicht Bergers Sun 10 schilling, des Zimmer Martins zween knächt Heinrich, Andres, gibt yeder 10 schilling, thut 1 pfund; des Zimmer Martins tochter Anni

5 schilling, Anni Mori 5 schilling, Anni Berger, Anni Kuchen, Elsi Möri und Anni Möri jedes 5 schilling. Näben den Chorkosten soleine yede mansperson dem Herren Vogt für die buss entrichten 30 schilling, und ein wybsbild oder tochter 15 schilling.››

Am 27. Dezember 1648 steht zu Protokoll: «Adam Blanck und syn wyb Margredt Schaller, wegen dass sy an irem hochzyt mit einanderen getanzet, söllen mit dem Herren Vogt umb die buss abschaffen und geben beide 15 schilling kosten. Er sagt ouch, er wölle nieman angän, wer ihn gsächen hab, der heig die anderen ouch gsen.›>

Die Bemerkung des Bräutigams deutet auch darauf hin, dass sich eine richtige Spionage und Angeberei über das Tanzen entwickelte, und zwar aus zwei übelanständigen Motiven heraus: man konnte da einmal seinem «lieben Nachbarn» eins auswischen, und zudem wurde man noch entschädigt für die «Kundtschafft›>.

Die folgende Protokollstelle gleichen Datums ist in dieser Hinsicht recht bezeichnend:

«Ist damals ouch von dem Ehrenvesten Hr. Vogt ein befelch geschechen, dass man den tänzeren an des Müller Steffans hochzytt fleissig nachforschen sölle.››

Heute bewundern wir im Fernsehen intemationale Tanzwettbewerbe. Tanzen gilt daneben für jung und alt als gesellschaftlich unterhaltsames, ja wertvoll verbindendes Vergnügen. Nicht so war es in frühern Zeiten. Das «mutwillige lychtfertige

Dantzen» war als Lasterbezeichnet und im ganzen Bernbiet verboten. Die Landvögte und die Chorrichter wurden eidlich verpflichtet, diesem Verbot Nachachtung zu verschaffen und Fehlbare zu strafen. Tänzer und Tänzerinnen mussten verhältnismässig hohe Geldbussen berappen, und die Spielleute wurden mit «drytägiger und nächtlicher gfangenschafft» bestraft, damit «disers üppiges wäsen, so wyt müglich, abgeschafft werde››.

Die einschränkende Bemerkung «so wyt müglich» deutet aber

wohl an, dass die gnädigen Herren in Bern selbst nicht ein vollständiges Ausrotten des Tanzens für möglich hielten. Mag sein, dass auch nicht alle Landvögte und Chorrichter mit gleicher Strenge dieses «üppige wäsen und laster» bekämpften. Wenn aber dem Landvogt oder den Chorrichtern von überfrommen Moraltamten oder irgendwelchen Speichelleckern und Neidhammeln hinterbracht wurde, dass da oder dort dem schrecklichen Laster gefrönt worden sei, mussten sie amtshalber eingreifen, so wie am 17. August 1755, da der Vorsitzende des Chorgerichtes in Lyss anzeigte, <<dass er von dem Herren Landvogt vernommen habe, dass an einem Sonntag in dem Wehrthöltzlin seye gedantzet worden und diese Däntzerbanden eine grosse Anzahl ausmache››.

Man beschloss deshalb, «genaue Nachfraag zu halten, Welche diese Persohnen seyen, sonderlich aber bey dem Herren Landtvogt sich zu informieren, als welchem selbige schon allbereit werden bekannt gemacht worden sein››

Der Chorweibel War in den nächsten Tagen vollbeschäftigt. Zuerst einmal musste er sich beim Landvogt in Aarberg um die Namen dieser «lasterhaften›› Leute erkundigen, und hierauf galt es, diese Tänzer und Tänzerinnen aufzusuchen und ihnen zu befehlen, sich am 22. August im Schulhaus in Lyss einzufinden. Über fünfzig Vorladungen musste er innert 5 Tagen in den folgenden Ortschaften anbringen:

Worben, Studen, Jens, Merzligen, Bühl, Walperswil, Mett, Lyss, Kappelen und Diessbach, denn das sogenannte Werdthölzli lag damals noch auf Lysser Boden. Das Chorgericht in Lyss allein war zuständig, diese «Sünder und Si.'mderinnen›› zu bestrafen.

Der Landvogt erachtete es für angebracht, selbst die Verhandlung in Lyss zu präsidieren; im Protokoll darüber heisst es denn auch: «Den 22. Augstmonat ist ein Consistorium zu halten anbefohlen Worden von unserem hochgeehıten Herren Landvogt, und ist solches im Schuelhaus sub ejus Praesidio gehalten worden über die Däntzer, so den 3ten Augstmonat im Weıthöltzlin gedantzet haben, da dann wegen ergangenen Kösten des Rogatoriums (Verhör) halber die Dantzgesellen sint gebüesst worden um 4 Pfund, die Meydtlin aber um 3 Pfund, und sint folgende: von Worben: Hans Kocher, Hans Gerig, von Studen: Cuntzen Nigglis Tochter,von Jeüs (Jens): des allten Kirchmeyers Knecht Gnägi, Nicola Vila von Leübringen, Anna Biclermann, Peter Wäbers Tochter, Ammanns Biderrnanns Magdt, von Menzligen: Stephen Hans Tochter, Hans Garils Tochter, von Büel: Elsbeth Kräbs, Kirchrneyer Struchen Annelin und Elsbeth,von Walperswyl: des Schmíedts Margaretha Murer, Wirths Güders Magdt, Anna Weiss, Niclaus Mooser, Schmiedt, von Mett: Jacob Schneider, von Lyss: Marey Bürgin, Magdalena Am, Maria Ryss, HansenTochter Margriten Ryss, Anna Weienegg von Mett.›› Dieser erste <<Gerichtstag›> ergab die hübsche Summe von 74 Pfund, wovon der Landvogt vorweg für seine Bemühungen 6 Kronen oder rund 21 Pfund erhielt, der Weibel dagegen für seine 5 Tagesmärsche 4 Kronen und 5 Batzen oder etwa 15 Pfund. Der Rest wurde unter die Choriichter verteilt, da sie im übrigen keine Sitzungsgelder bezogen.

Aber der Prozess war noch lange nicht zu Ende, denn erstens einmal erschienen am ersten Verhandlungstag nicht alle Aufgebotenen, und zum andern wurden weitere wirklich oder vermeintlich Fehlbare verrätscht. So schreibt der Prädikant, dass schon am folgenden Tag «sint zu mir kommen 3 Meydtlin, die dantzet zu haben gelaugnet (verneint), wohl aber ausgesagt haben, dass sie im Wehrthof gewesen seyen, namens Elsbeth Roth von Walperswil, Margrithen Roth auch von dannen, Elsbeth Schneider von Diessbach, welche ich unserem hochgeehıten Herren Landtvogt auch verzeichnet überschrieben hab››. Und weiter heisst es: «Der Riesen hatt gelaugnet, clantzet zu haben. Die Barbara der Kilchmeyerinn sagte, es seye niemals im Höltzlin gsin. Seine Schwöster Anna ist wegen Kranckheit nicht erschinnen. Christen Marolfs Immer hatt auch gelaugnet, gleichfahls des Marolfs Barbara. Das Elsbeth hatt auch gelaugnet. Samuel Battschelet sagte, er seye niemal zu Wehrt gewesen; der Bendicht ist kranck; der Sohn des Chorrichters Marolf hatt auch gelaugnet. Des Lehenmanns Elsbeth ist niemals im Höltzlin gewesen; Laubschers Hans sagte, er seye nicht allda gewesen»

Der Prädikant stand vor einem schwierigen Entscheid. Er nahm offenbar an, dass die meisten «gelaugnet›› hätten, also im Grunde strafbar wären; doch hatte er keine Zeugen zur Hand und konnte deshalb keine Bussen verhängen. Hingegen durfte er in den folgenden Fällen nicht beide Augen zudrücken. Da heisst es: «Barbara Geri hatt zugeschauet und ist um 10 Schillig gebüesst worden; des Lehenmanns Sohn zu Wehrt ist auch als Zuschauer um 10 Schillig gebüesst worden. Barbara Kläntschi hatt gedantzet und ist um 1 Pfund gebüesst. Peter Lyniger hatt Wegen Zuschauens 10 Schillig erlegt; Anna Lyniger hatt gedarıtzet und dartür ein Pfund erlegt. Claus Arn

von hier (Lyss) hatt auch zugeschaut und darfür ein Pfund erlegt. Der Rud. Am hat wegen Zuschauens auch l Pfund erlegt. Anna Ryss, als Zuschauerin, zallte 10 Schilling» Es fällt auf, dass der Prädikant hier ganz andere Strafbeträge ansetzte. Am ersten Tag, in Anwesenheit des Landvogts und der Chorrichter, wurden die Burschen mit 4, die Mädchen mit 3 Pfunden bestraft. Jetzt aber verlangte er fürs Tanzen nur noch l Pfund und für das Zuschauen ein halbes Pfund, respektive 10 Schilling, wobei er immerhin dem Claus und Rudolf Am je ein Pfund zumutete. Solch unterschiedliche Taxierung lag in der Macht des Chorgerichtes, demgegenüber der Prädikant natürlich auch Rechnung ablegen musste. Gelegentlích heisst es denn auch etwa, dass ein Fehlbarer für sein Vergehen armutshalber nicht gebüsst wurde, hingegen eine «scharppfe Kappen» (Strafpredigt) über sich ergehen lassen musste. Noch zwei Monate später, «am 19. Weinmonat, sint folgende Personen von Cappelen citiert erschinnen, nammlich Niclaus Hübscher und seine Frau von Wehıt, Niclaus Möris Mueter, Hans Gygis Tochter, wo daheim ist, und sein Sohn. Diese specificieıte Persohnen haben gelaugnet»

Nach einigen verfänglichen Fragen musste wenigstens Niclaus Hübscher zugeben, dass er«gedantzet›› habe,und er bezahlte 2 Pfund. Dann heisst es zum Schluss: «Hans Möris Tochter hat wegen Zuschauens geben Zehen Schilling» Nun hätte man annehmen können, das «grausame Spiel» sei zu Ende; doch sorgten wohl «liebe Nachbarn» noch für ein pikantes Nachspiel. Hans Gygis und des Kilchmeyer Gygis Töchter von Kappelen wurden ebenfalls verrammelt. Als sie aber am 2. November

1755 in Lyss erschienen, war das Chorgericht wohl recht überrascht,

denn im Protokoll steht: «Weilen aber diese zwey noch jung und noch

nicht zum heiligen Abendtmahl gangen sint, hatt man für guet funden, sie dem Herren Prediger von Cappelen zu überlassen.››

Endlich, am l6. Wintermonat, also nach drei Monaten, konnte der Schlussstrich gezogen werden. Wir lesen da: «es ist angebracht worden, dass der Herr Landtvogt den 3ten Teil von der letzten Däntzerbuess für die Oberkeit behalten werde, das übrige solle under uns getheilt Werden»