Sonntagsentheiligung

Eine besondere Aufgabe der Chorrichter bestand darin: «nach luth der Satzungen und mandaten ze straffen als da sind: mutwillige versumer und verachter der Predigen des heiligen Göttlichen worts und heiligen Sacramenten»

Sehr oft wurde protokolliert, dass Leute, besonders aus den umliegenden Weilern wie Weingarten, Ottiswil, Worben und Werdthof, Weil sie «gar schlechtlich und liederlich z”predig gahn››, vor Chorgericht zitiert und gebüsst Wurden. Aber nicht genug damit: auch Sonntagsarbeit wurde geahndet, und dabei wurden die Lysser selbst gar nicht geschont. So lesen wir: «Niclaus Zimmerman, der Wollwäber, dass er ettlichmal am Sonntag gwalcket, ist ernstlich censuriert und um l Pfund gestrafft worden.››

«Barbara Gyi, des Bendicht Ernis wyb, wägen dass sy an einem Sonntag holz zusamen tragen, und dass sy den lüten für und für am obs (Obst) ist, ist um ein pfund gestrafft und sich ehrlich und frommcklich zehalten vermant worden.››

«Christen Arn, wegen dass er an einem Sonntag z'abend embd (Emd) yngfürt.››

Er rechtfertigt sich: «es syge schon zwo stund nacht gsyn, und syge lang zuvor gar unstätt regenwetter gsyn, und wenn ers lenger hätte ligen lassen, Were es im (ihm) zu schaden worden.›› Aber diese Entschuldigung half ihm nichts; er wurde «mit dem Herren Vogt um die buss abzuschaffen vermant» und musste zusätzlich 10 Schilling Chorkosten bezahlen.

Noch schlechter kam Durs Martin, der Sager, weg; er gab freilich zu, «dass er ettliche Sonntag gsaget, bittet aber mächtig um gnad››. Nichts half es; auch er muss mit dem Vogt um die Buss «abschaffen, dem Chorgricht aber ein pfund erlegen>›.

Ganz gleich erging es Nigli Arn. Da heisst es: «wegen dass er am nüw Jarstag am morgen vor der predig ein Schlitten gmacht, und dass er unlangst an einem Sonntag gmäyt: ist bekanntlich, bittet umb gnad, ist desswegen erkennt worden, dass er mit dem Junckeren Vogt umb die buss abschaffen und dem Chorgricht ein pfund gän sölle.›>

Ja, sogar der Statthalter Conrad Am, also der «Vizepräsident des Chorgerichts›>, Wie man heute sagen Würde, wurde nicht geschont. Weil er «im früling an einem Sonntag nach mittag strouw gschnitten und tröschen, gibt er dem Junckeren Vogt die buss und 10 schilling dem Chorgricht>›. Wir stellen immerhin fest, dass er nur 10 und nicht

20 Schilling wie die andern bezahlen musste. Mag sein, er hat seine Kameraden mit einem Trunk im Wirtshaus entschädigt, Nicht nur mit Arbeit konnte man den Sonntag entheiligen; wir lesen: «Kröüchi Schnyders Sun, Bendicht, dass er an einem Sonntag

z'nacht mit Hans Ris gschlagen, gibt buss und l0 schilling kosten»

Wir erkennen: Grundsätzlich mussten die Chorrichter für sogenannte Sonntagsentheiligung eine Busse aussprechen, jedoch lag es in ihrer Kompetenz, die Höhe der Kosten zu bestimmen. Eine offensichtliche Milde liessen sie im folgenden Falle walten, Wohl mit Recht, handelt es sich doch hier um kameradschaftliche Hilfeleistung von jungen, recht sympathisch erscheinenden Burschen. Wir lesen: «Bendicht, Niglin und Hans von Tach gebrüder, Hans Ris, Rudin Egglin und Cenz Kläntschis Sun, dass sy Sonntag den 29. Juny 1645 by Sonnenschyn dem Christen Lyniger gschnitten, darzu der Lyniger inen ein geltten wyn uff das fälld abhin gschickt, sind bekantlich, betten umb gnad, söllen all mit dem Junckeren umb die Buss abschaffen, und gibt ein yeder 5 schilling kosten, thut 35 schilling»

Vielleicht nimmt es den Leser wunder, was mit all diesen Bussengeldem geschah. Nun, die wurden zusammengelegt «und nach verschynung (Ablauf) des halben Jahres under die Richter und den Schryber glychlich getheilt››.

Das war gleichsam ihr Sitzungsgeld.

Am Sonntag sollten die Leute zur Kirche gehen; jede öffentliche Störung der Sonntagsruhe wurde geahndet. So kam ein Bauer aus Worben vor Chorgericht, weil er am Sonntag eine Sense dengelte.

Eine Frau in Lyss wurde gebüsst, Weil sie im Mätteli Wäsche zum Trocknen aufhängte. Kirschen pflücken war verboten, trockenes Heu durfte vor dem Gewitter nicht gerettet werden. Backen am Sonntag im Ofenhaus war verpönt. Der Müller durfte die Mühle nicht laufen lassen, auch nicht die Mühlsteine aufrauhen. Eine arme Witwe wurde gebüsst, weil sie am Sonntag eine Bürde Dürrholz aus dem Walde neben der Kirche vorbeitrug. Selbstverständlich waren Tanz, Kegel- und Kartenspiel streng verboten, und der Wirt durfte nur Durchreisenden am Sonntag während des Gottesdienstes Tranksame und Speise anbieten.

Dieses «Wirtshausverbot›› wurde jedoch oft übertreten. Man verüble es mir nicht, einen solchen Fall zu erwähnen, in welchem bekannte Lysser Geschlechter erscheinen. Das Seeländertemperament musste sich auch in frühern Zeiten gelegentlich durchsetzen.

Da heisst es: «Den 10ten Septembris ist unter dem Vorsitz Meines

Wohl Edel Geborenen Junkers Landvogt von Diesbach Chorgricht gehalten worden und sind vor selbigem erschienen: Bendicht Arn an der Hintergass (jetzige Hauptstrasse), Bendicht Kuchen, der Siegrist, Bendicht Bangerter, Wirth Streit, Jacob Zimmermann, der Schuhmacher, welche am ersten Heil. Communionssonntag bis in die Nacht im Wirtshaus gesessen und mit unmässigem Trinken sich schändlich vergessen haben. Sie gestunden, dass die einten bis 9, andere bis 10 Uhr im Wirtshaus geblieben; wie schändlich ein solches Betragen an einem heiligen Sonntag sey, wurde ihnen vorgestellt und sie wurden ernstlich zur Besserung vermahnt»

Aber nicht genug damit; am folgenden Sonntag mussten vor Chorgericht erscheinen: «Hans Küng, Meyers Sohn (also der Sohn des Chorgerichtsvorsitzenden!) , Rud. Marti, der junge beim Thürli, Hans Arn, der Fehr (Fährmann), Bendicht Herrli, Abraham Aebi, Bendicht Bürgi im Stiglin, Niklaus Ris, Bendicht Ris und Anna Arn, Bendichts Mutter, welche im gleichen Fehler waren mit den obgemeldten und deswegen auch scharf censuriert Wurden. Junker LandVogt vertällte sie samtlich mit den obigen, 3 Kronen ins Armengut zu erlegen.››

Man kontrollierte auch sorgfältig, wer zum Gottesdienst ging, und immer und immer wieder wurden Saumselige ins Pfarrhaus beschickt, wo sie ihre Abwesenheit begründen mussten. Da sagte der eine, es fehlten ihm die guten Schuhe; eine Frau klagte, sie hätte keine Sonntagskleider mehr. Natürlich wurde oft Krankheit vorgeschützt, und Ottiswiler und Ammerzwiler, damals noch Kirchhörige von

Lyss, gaben an, sie seien nach Grossaffoltern zum Gottesdienst gegangen. Dies liess man nur unter der Bedingung gelten, wenn sie vom Pfarrer in Grossaffoltem eine entsprechende Bestätigung vorzeigten. So ist‘s sicher auch nicht verwunderlich, dass «den 17ten 8bris (Oktober) 1784 Bendicht Lauper, der Laustampfer allhier, vor Chorgricht berufen ward wegen Entheiligung des Sabbaths, dadurch, dass er an einem Sonntag während dem Gottesdienst seine Stampfe angehen lassen››.

Was machte damals überhaupt ein <<Laustampfer››? Er bereitete Gerberlohe vor zum Gerben von Tierhäuten. Seine <<Laustampfe›› befand sich am Lyssbach, ganz in der Nähe der Kirche. Man weiss, dass ein sogenanntes «Leuhaus›› hinter der alten Gemeindeschreiberei stand, und man darf vermuten, dass dieses <<Leuhaus›› mit der

<<Laustampfe›› in gewisser Beziehung lag. Wir gehen also kaum fehl, wenn wir annehmen, Bendicht Laupter, der Laustampfer, habe in der Nähe der alten Mühle Lyssbachwasser abgezweigt, um seine Stampfe zu betreiben. Und was wurde da gestampft? Um die Gerberlohe zuzubereiten, holte er im Wald Rinde, vor allem Eichenrinde, obwohl auch Birken- und Tannenrinde sich dazu eigneten. Lyss besass damals grosse Eichenbestände; der Lyssbach lieferte die notwendige

Wasserkraft, so dass es dem gewerbstüchtigen Bendicht Lauper gelang, ein einträgliches Geschäft aufzubauen, indem er den Gerbem in weitem Umkreis eine vorzügliche Lohe liefern konnte.

Und eben dieser Umstand wurde ihm zum Verhängnis. Er musste, wie oben erwähnt, vor Chorgericht antreten. lm Protokoll über diesen Fall heisst es dann weiter: «nachdem er erschienen und ihm die Sündlichkeit dieses Verfahrens und gegebene öffentliche Ärgernis derb vorgehalten, so wollte er sich damit entschuldigen, dass die dringendste Noth da gewesen, das Lau zu stampfen, weil der Gerber in Affoltern den Schaden ihm vorhielte, der durch das Verderben der Häute ihm entstehen würde, wenn er ihm das versprochene Lau nicht lieferte. Und wenn er, Lauper, nicht stampfen wollte, so wolle er von seinen Leuten in die hiesige Stampfe senden, da er in Affoltern kein Wasser hätte»

Einige Chorrichter fanden, diese Entschuldigung sollte man gelten lassen. Schliesslich lebte man ja damals im sogenannten Jahrhundert der Aufklärung, und bloss fünf Jahre später brach die französische Revolution aus mit den Schlagworten «Liberté, Egalité, Fraternité.

Doch die andern fühlten sich noch so sehr an ihre Eidespflicht und Treue zu den alten Vorschriften gebunden, dass der <<Laustampfer›› keine Gnade finden konnte. Es heisst zum Schluss nämlich: «diese Ausrede Ward indessen ungültig befunden, und durchs Mehr der Stimmen ward er um 7 Batzen und 2 Kreuzer gestraft, so er auch willig erlegte.>›