der groupffte Han
Die Familien Linser und Kuchen waren Nachbarn in Weingarten, jedoch nicht sonderlich befreundet. Vor allem überwachten sich die beiden Frauen argwöhnisch; wenn Frau Barbli Kuchen etwas Neues für den Haushalt oder an Kleidern vom Aarberger Markt heimbrachte, so kramte unfehlbar Frau Elsi Linser etwas noch Besseres, Schöneres auf dem nächsten <<Bürenmärit›› und spienzelte es daheim
so, dass Barbli sicher davon Kenntnis nehmen musste. «So, der habe ich es wieder einmal gezeigt!» schmunzelte sie, wenn sie bemerkte, wie Barbli verärgert die Türe zuschletzte. Aber Barbli Kuchen hielt noch einen grossen Trumpf im Hinterhalt: schon eine Woche lang war die damals sehr geschätzte «Näjeren von Suberg» auf der Stör bei ihr, und am Sonntag gingen denn «Meister Kuchen und syn Frauw» die Kirchgasse hinunter (so hiess damals noch der Weg vom Weingarten gegen den heutigen Scheibenstand im Winigraben) nach Lyss zur Kirche, er in neuem Halbleinenkleid, sie in aufgeputzter Tracht, mit «glandrierte>> Schürze - und, ja, sogar einem neuen <<Göller››, wie die <<Linseren›> zum Fenster hinausspähend feststellte. Das war denn doch der Gipfel! Da konnte sie nicht mehr mithalten. <<Nu, heute gehe ich nicht zur Kirche; aber die soll nur Warten!» Verärgert trat sie neben das Haus und sah, dass der mächtige buntgefiederte Hahn der «Kuchenen›› in ihrer Hofstatt herumstolzierte und ihren eigenen Hühnern «den Hof machte>›. <<So, das fehlte noch!›› - Wie vom Satan gestochen, lief sie hinüber zum offenen Gattertor, durch das der Hahn eingedrungen war, schloss es, und nun «ist die Linseren mit dem Hanen in der Husshofstatt umb einanderen gloffen, hat ihn lang gjagt und gstöupt›>, bis sie fast ausser Atem kam; immer wieder entwischte er ihr. Da rief sie ihren Mann und den Knecht zu Hilfe. Diese haben «denselben entlichen erwütst und gfangen, ihmme die Fäderen ussgroupfft, dass er gar Wüst worden und hernach lassen louffen›>.
Als Barbli Kuchen nach der Predigt heimkam und den Schaden bemerkte «ward es sehr betrübt und erzürnt worden››. Sofort schien ihm klar, dass niemand anders als die Elsi Linser dahinter steckte und rief ihr hinüber, «man hätte iren den Hanen nit also Wüst söllen zerroupffen, man hätte ihne sonst können uss der Hofstatt jagen» und
sie verlangte sogar, «man sölle iren den Hanen bezahlen» Auf dieses Ansinnen bekam sie aber von der Nachbarin eine so niederschmetternde Antwort, dass die «Barbli Kuchen also bestürzt und erzürnt worden, dass sy hernach alsbald umb ihra Lybesfrucht kommen››.
Chorrichter Küng von Ottiswyl vernahm dies, und so wurden denn die beiden «Wyber von Wyngarten» am 29. Juli 1655 vor dem Chorgericht in der Kirche zu Lyss verhört.
«Wegen des Hanen››, sagte Elsi Linser, «sy heige es nit than, ihr Man mit dem Knecht heigen es than; die heigen einanderen gholffen, den Hannen ze fachen und hernach zerroupfft.›› Wohl etwas scheinheilig beteuerte sie sogar, «sy habe es ihmme gwehrt, er sölle es nit thun...›› Deshalb wurde vom Chorgericht beschlossen, die beiden Übeltäter, den Jagi Linser und seinen Knecht, auf 12. August 1655 vorzuladen. Die Strafklage lautete: «dass sy irer Nachbüwrin Barbli Kuchen zu Wyngarten ein Hanen lang gstöübt und giagt, denselbigen endtlichen gfangen, ihmme die Fäcken gschrotten, groupfft und noch darzu iren bösen Bscheid gän, darüber sy sich also bekümmeret, dass sy, wie die Red gaht, umb das Kind kommen» «Des Hanen halben» waren Linser und sein Knecht geständig, «sägen aber, er heige inen stätts Schaden than; des Kindts Tods halben aber tragen sy kein Schuld, dann sy - die Barbli Kuchen - heigel
Tag vor der Geburt irem Man ein schwer Puder Holz gholfen laden, und sy meinen, sy habe sich allda überwerchet und zu fast glüplft oder bürt.››
Das Chorgericht fand, dass dies «ouch lychtlich hette syn mögen und geschechen››.
So musste denn Jagi Linser - nur zur Warnung - 5 Schilling Chorkosten bezahlen.